Seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.05.2016, 1 C 15.15, ist es eine schwierige Abwägung im Einzelfall, ob man gegen einen Dublin-Bescheid ein Rechtsmittel einlegen möchte. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat damals entschieden, dass ein Eilantrag auch dann einen Neubeginn der Überstellungsfrist auslöst, wenn er abgelehnt wird. Ich muss mir also jeweils im Einzelfall überlegen, ob mein Eilantrag realistische Erfolgsaussichten hat, und wie weit die Überstellungsfrist schon fortgeschritten ist. So passiert es nicht selten, dass schon etwa die Hälfte der Überstellungsfrist abgelaufen ist, wenn der Bescheid zugestellt wird. Wenn ich den Bescheid dann einfach bestandskräftig werden lasse, ist die Chance relativ groß, dass die andere Hälfte der Überstellungsfrist auch noch ohne Abschiebung verstreicht. Wenn ich hingegen einen Eilantrag stelle, der dann abgelehnt wird, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wieder volle sechs Monate Zeit für die Abschiebung hat. Dasselbe gilt, wenn der Eilantrag zwar zunächst erfolgreich sein sollte, die aufschiebende Wirkung der Klage also angeordnet, die Klage selbst später aber abgewiesen wird. Auch in diesem Falle laufen die sechs Monate von vorne. Im Ergebnis hat das Rechtsmittel der betroffenen Person also eher geschadet, als genutzt. Zumindest für Dublin-Verfahren mit Italien gelte aber etwas anderes, meint jetzt die 12. Kammer des VG Düsseldorf in diesem Beschluss.
Weiterlesen: Dublin-Verfahren Italien: Klagen ohne Reue?Das Gericht knüpft damit an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom September 2022, C‑245/21 und C‑248/21, an. Damals entschied der EuGH, dass die praktische Unmöglichkeit einer Abschiebung aufgrund der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie kein tragfähiger Grund für eine Aussetzung der Überstellungsfrist sei:
Zum anderen war der Unionsgesetzgeber nicht der Ansicht, dass sich die praktische Unmöglichkeit, eine Überstellungsentscheidung durchzuführen, für eine Rechtfertigung der Unterbrechung oder der Aussetzung der in Art. 29 Abs. 1 der Dublin‑III‑Verordnung bezeichneten Überstellungsfrist eigne.
EuGH a.a.O., Rn. 65
Das Gericht überträgt diese Entscheidung auf Dublin-Verfahren mit Italien. Denn derzeit weigert sich Italien, Dublin-Rückkehrer*innen zurückzunehmen, selbst wenn es dazu verpflichtet wäre. Mithin scheitern auch Abschiebungen nach Italien derzeit daran, dass sie praktisch nicht durchführbar sind. Dann aber, meint das Gericht, kann auch in diesem Falle die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist führen:
Eine Entscheidung, die – wie hier – eine aufschiebende Wirkung aber allein deshalb anordnet, weil eine Überstellung des Ausländers aus praktischen Gründen unmöglich ist, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs indes nicht geeignet, die Überstellungsfrist zu unterbrechen. Er hat ausgeführt, der Unionsgesetzgeber sei nicht der Ansicht, dass sich die praktische Unmöglichkeit, eine Überstellungsentscheidung durchzuführen, für eine Rechtfertigung der Unterbrechung oder der Aussetzung der in Art. 29 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung bezeichneten Überstellungsfrist eigne. Er habe nämlich keine allgemeine Bestimmung in diese Verordnung aufgenommen, die eine solche Unterbrechung oder eine solche Aussetzung vorsehe.
Nach diesen Maßgaben dürfte die sechsmonatige Überstellungsfrist ausgehend von der fiktiven Zustimmung Italiens zum Übernahmeersuchen am 18. Mai 2023 gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung nach derzeitigem Kenntnisstand bereits am 18. November 2023 abgelaufen und die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags auf die Antragsgegnerin übergegangen sein
VG Düsseldorf a.a.O., Rn 21 ff.
Sollte sich diese Linie durchsetzen, dürfte es zumindest in NRW, wo in der Rechtsprechung die praktische Unmöglichkeit, Dublin-Überstellungen nach Italien durchzuführen, weitestgehend anerkannt ist, praktisch risikolos möglich sein, in diesen Fällen Klagen zu erheben und mit Eilanträgen zu verbinden. Offen ist jedoch, ob sich diese Interpretation der Rechtsprechung des EuGH durchsetzen wird.
In einem weiteren Schritt drängt sich die Frage auf, auf welche weiteren Fallkonstellationen sich diese Erwägungen übertragen lassen. Dabei geht es um Fälle, in denen eine Abschiebung alleine an praktischen Gründen scheitert. Denken könnte man hier also insbesondere an Fälle einer krankheitsbezogenen Reiseunfähigkeit, beispielsweise einem stationären Krankenhausaufenthalt. Auch eine Reiseunfähigkeit aufgrund einer (Risiko-)Schwangerschaft könnte ein solcher Grund sein. Gerade in diesen Fällen erlässt das BAMF erfahrungsgemäß eine Abschiebungsandrohung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG i.V.m. § 38 Abs. 1 AsylG mit einer Frist zur freiwilligen Ausreise von 30 Tagen. In diesen Fällen kommt einer Klage gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung zu, ohne dass es eines zusätzlichen Eilantrages bedarf. Denkt man jedoch die Argumentation des VG Düsseldorf konsequent zu Ende, müsste man auch in diesem Falle zu dem Ergebnis kommen, dass die Klage zwar aufschiebende Wirkung hat, die Überstellungsfrist jedoch trotzdem weiterläuft.
VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.11.2023, 12 L 2970/23.A
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Eine Antwort zu „Dublin-Verfahren Italien: Klagen ohne Reue?“
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