Mitten rein in die Urlaubszeit platzt eine Hiobsbotschaft vom Oberverwaltungsgericht NRW: Das Gericht ist der Auffassung, dass der Bürgerkrieg in Syrien keine solche Intensität mehr besitze, dass die Zuerkennung des subsidiären Schutzes als Regelfall bei syrischen Geflüchteten noch länger gerechtfertigt sei. Man hört die Sektkorken bei AfD, FDP und sonstigen Rechten knallen. Nun ist es so, dass bis jetzt noch keine vollständigen Urteilsgründe vorliegen, sondern nur eine Pressemitteilung. Was das Gericht wirklich entschieden hat, wissen wir also noch gar nicht so genau. Die Pressemitteilung genügt jedoch, um zu erahnen, dass es sich um eine sehr schlimme Entscheidung handeln wird, die mutmaßlich fatale Konsequenzen haben wird. Besonders bedenklich ist, dass es wohl gar nicht unbedingt notwendig wäre, für das OVG, sich zu dieser Frage zu äußern, da es für den konkreten Fall gar nicht darauf ankam. Das Gericht hätte sich auch darauf beschränken können, zu entscheiden, dass gerade der hiesige Kläger aufgrund seiner Straftaten nicht als subsidiär schutzberechtigt anzuerkennen ist. Dass sich das Gericht jedoch diese Gelegenheit nicht entgehen ließ, den subsidiären Schutz für Syrer*innen grundsätzlich anzugreifen, lässt befürchten, dass das Gericht nur auf die passende Möglichkeit hierfür gewartet hat.
Das, was die Medien dann daraus machen, ist aber auch wieder, sagen wir mal, ein wenig schräg und missverständlich, weswegen ich mich hier zu ein paar Klarstellungen veranlasst sehe.
Weiterlesen: Kein Schutz mehr für Syrer*innen?!Ich hatte bereits hier einiges zu Abschiebungen nach Syrien geschrieben, und dabei insbesondere auch ausgeführt, dass es vier Schutzstatus gibt. Dabei gibt es die drei Schutzstatus, die rechtlich gesehen Bestandteil eines Asylantrages sind (Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz) und die Abschiebungsverbote, die zwar nicht beim Asylantrag explizit mitbeantragt werden müssen, die aber dennoch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Rahmen eines Asylverfahrens mitgeprüft werden müssen. Schon deswegen ist die Formulierung, wie sie bei der Tageschau und leider auch bei lto nachzulesen ist, dass subsidiärer Schutz „bereits die unterste Ebene für Schutzsuchende“ sei, mindestens missverständlich und ungenau. Es gibt darunter eben noch die Abschiebungsverbote.
In der Pressemitteilung des OVG steht leider nicht ausdrücklich, ob das BAMF dem Kläger des dortigen Verfahrens ein Abschiebungsverbot zuerkannt hat, aber wie ich in meinem Artikel über Abschiebungen nach Syrien bereits ausgeführt habe, entspricht es – jedenfalls bisher – der Entscheidungspraxis des BAMF bei Geflüchteten aus Syrien, die wegen gravierender Straftaten verurteilt wurden, zwar einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf den subsidiären Schutz zu verneinen, sodann aber ein Abschiebungsverbot festzustellen. Dies dürfte auch in dem vorliegenden Fall so gewesen sein. Gerade die Tatsache, dass sich das OVG nicht explizit dazu äußert, spricht dafür, dass ein Abschiebungsverbot festgestellt wurde, denn wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte das Gericht auch darüber entscheiden müssen, und dann hätte vermutlich auch etwas dazu in der Pressemitteilung gestanden. Es dürfte eher so sein, dass das BAMF bereits ein Abschiebungsverbot festgestellt hatte und die Klage daher keine Abschiebungsverbote umfasste, denn der Kläger braucht ja nichts einzuklagen, was er eh schon hat. Damit waren Abschiebungsverbote im vorliegenden Verfahren aber wohl gar nicht streitgegenständlich, sodass sich für das OVG keine Gelegenheit bot, sich dazu zu äußern.
In meinem Artikel über Abschiebungen nach Syrien habe ich auch über die Voraussetzungen für die Feststellungen eines Abschiebungsverbots geschrieben. Wichtig ist hierbei vor allem, dass jedenfalls nach der in Deutschland üblichen Lesart allgemeine humanitären Notlagen zwar ein Abschiebungsverbot rechtfertigen können, aber keinen subsidiären Schutz. Die Frage, die sich also in Zukunft verstärkt stellen könnte, ist die Frage nach der allgemein desolaten ökonomischen Situation in Syrien, also einem Land, das international weitgehend isoliert ist und dessen Wirtschaft seit über zehn Jahren unter den Folgen des Bürgerkriegs leidet. Auch, wenn sich das OVG mit seiner Auffassung durchsetzen sollte, wird dies also nicht bedeuten, dass Syrer*innen in Zukunft standardmäßig keinen Schutz mehr bekommen werden, sondern wir werden eher eine Situation haben, die der Entscheidungspraxis zu Afghanistan oder Somalia ähnelt.
Abschiebungsverbot und Abschiebungsstopp
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und/oder 7 Satz 1 AufenthG führt jedenfalls in der Regel zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 25 Abs. 3 AufenthG). Zwar hat diese Aufenthaltserlaubnis verglichen mit den Aufenthaltserlaubnissen, die es beispielsweise für anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte gibt, Nachteile, was etwa die Einbürgerung oder die Familienzusammenführung angeht, aber, immerhin, es ist eine Aufenthaltserlaubnis, mit der man legal hier leben und arbeiten kann. Zudem sieht § 25 Abs. 3 Satz 3 AufenthG Ausnahmen vor, in denen trotz Feststellung eines Abschiebungsverbots keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, beispielsweise bei „Straftaten von erheblicher Bedeutung“. Aber selbst das führt dann nicht zu einer Abschiebung, sondern zu einer Duldung.
Der WDR hingegen schreibt von einem „bundesweiten Abschiebeverbot“. Da gehen wohl mal wieder die Begriffe etwas durcheinander. Gemeint ist hier wohl weniger ein Abschiebungsverbot als ein Abschiebestopp (vgl. § 60a AufenthG), also eine politische Entscheidung, dass in ein bestimmtes Land nicht abgeschoben werden soll. Ein Abschiebestopp führt allerdings nicht ohne Weiteres zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sondern begründet zunächst nur einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung. Ein Abschiebungsverbot hingegen beruht immer auf der Prüfung eines Einzelfalls und in der Regel zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Zu guter Letzt kann ich nur wiederholen, was ich hier schon vor genau einem Monat schrieb:
[Es ist] abwegig, anzunehmen, dass es in absehbarer Zeit in größerem Umfang Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien geben könnte. Bestenfalls – und damit meine ich hier schlechtestenfalls – könnte es wieder eine Situation geben, wie es um 2021, 2022 herum gab, als einmal im Monat zehntausende Euro verschwendet wurden, um ca. 20 Männer nach Afghanistan auszufliegen.
In den übrigen Fällen wird der Unterschied zwischen Schutzstatus und kein Schutzstatus sich im Wesentlich darauf beschränken, ob man eine Aufenthaltserlaubnis bekommt oder nur eine Duldung. Und, wie schon Goethe sagte: Dulden heißt Beleidigen. In einem aufenthaltsrechtlichen Kontext bedeutet Duldung vor allem, dass man es Menschen möglichst schwer macht, sich zu integrieren, indem beispielsweise der Zugang zum Arbeitsmarkt drastisch eingeschränkt wird. Und was könnte da schon schiefgehen?
Nachtrag: Subsidiärer Schutz ist nicht nur Bürgerkrieg
Es war wohl gestern Abend schon zu spät, als ich diesen Beitrag schrieb. Einen wichtigen Aspekt habe ich vergessen: Subsidiärer Schutz wird nicht nur wegen Gefahr für Leib und Leben durch einen Bürgerkrieg gewährt (§ 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylG). Subsidiärer Schutz wird auch gewährt bei drohender Todesstrafe (Nr. 1) oder drohendem Verstoß gegen das Verbot der Folter (Nr. 2). Soweit nach der Pressemitteilung ersichtlich ging es darum aber anscheinend auch nicht in diesem Urteil. Auch, wenn Syrer*innen also keinen subsidiären Schutz mehr wegen der allgemeinen Bürgerkriegsgefahr bekommen könnten, würde das nicht bedeuten, dass sie nicht aus einem dieser anderen Gründe subsidiären Schutz bekommen können.
Zu denken wäre hier insbesondere an Menschen, die vor der Einziehung zum Kriegsdienst geflüchtet sind. Soweit man annehmen muss, dass diesen Menschen wegen der Flucht vor dem Kriegsdienst Folter droht, wäre dies ein Grund, ihnen weiterhin den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen (falls man darin nicht sogar politische Verfolgung sieht, die eine Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtligskonvention (§ 3 AsylG) rechtfertigt.
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