Stationärer Krankenhausaufenthalt als Abschiebungshindernis

Im Anschluss an die mehr als zweifelhafte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach es jungen, „nichtvulnerablen“ Männern, die in Griechenland als Flüchtling anerkannt wurden, zuzumuten sei, dorthin zurückzukehren, weil sie schon einen Job in der „Schattenwirtschaft“ (vulgo: Schwarzarbeit) gefunden haben, hat das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen den Eilantrag eines jungen Mannes abgelehnt, der sich gegen eine entsprechende Abschiebungsandrohung zur Wehr gesetzt hatte. Doch unmittelbar, bevor das Gericht den Beschluss erließ, wurde eine Lungentuberkulose diagnostiziert, die dem Antragsteller einen mutmaßlich längerfristigen stationären Aufenthalt im Krankenhaus einbringen. Auf meinen Antrag hin hat das Gericht seinen Beschluss geändert und nunmehr beschlossen, dass der Gesundheitszustand der Abschiebung entgegensteht und die Abschiebungsandrohung damit rechtswidrig ist.

Was ich an dem Beschluss dabei vor allem interessant finde, ist der dogmatische Ansatz, mit dem das Gericht die Entscheidung begründet. Ich selbst hatte mich in meinem Antrag darauf bezogen, dass eine Person, die wohl am Anfang einer langwiergen, zunächst stationären, sodann ambulanten Behandlung kaum als „nichtvulverabel“ wird eingestuft werden können, und dass dieser Gesundheitszustand kaum mit harter körperlicher Arbeit in der Bau- und Landwirtschaft (denn so stellt man sich beim Bundesverwaltungsgericht die „Schattenwirtschaft“ vor) zu vereinbaren sein dürfte (von der Unterbringungssituation mal ganz zu schweigen).

Doch darauf geht das Gericht gar nicht ein, sondern argumentiert stattdessen mit § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG, der in seiner derzeitigen Fassung stark geprägt ist von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu Art. 5 der Rückführungsrichtlinie. Demnach setzt der Erlass einer Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Asylverfahren nunmehr voraus, dass das BAMF zuvor geprüft hat, dass der Gesundheitszustand der betroffenen Person der Abschiebung nicht entgegenstehen darf. Das ist in Deutschland insofern neu, als es der hiesigen, über einen Zeitraum von mehreren Jahren damit unionsrechtswidrigen Behördenpraxis entsprach, dass sich das BAMF mit solchen Fragen eher nur ausnahmsweise, in besonderen Fallkonstellationen befasst hat, und es im Übrigen in der Regel den Ausländerbehörden überlassen blieb, im Zuge des Vollzugs der Abschiebungsandrohung Fragen wie die Reisefähigkeit der betroffenen Person zu klären.

Das Gericht meint, da die betroffene Person sich derzeit in stationärer Behandlung befinde, bestehen jedenfalls derzeit rechtliche Bedenken gegen die Abschiebungsandrohung, die das BAMF erlassen hat. Das ist insofern interessant, als es durchaus auch schon vorgekommen ist, dass Menschen aus einer stationären Behandlung heraus abgeschoben worden sind. Sollte man das Gericht so verstehen wollen, dass eine stationäre Behandlung stets als ein der Abschiebung entgegenstehender Gesundheitszustand zu bewerten sind, so dürfte eine Abschiebung in einem solchen Falle grundsätzlich rechtswidrig sein. Gleichwohl muss man mit dieser Interpretation wohl ein wenig vorsichtig sein, da sie sich eben konkret auf den Fall einer notfallmäßigen Aufnahme aufgrund einer Lungentuberkulose bezieht. Für eine solche Interpretation streitet aber immerhin der Umstand, dass das Gericht den stationären Aufenthalt des Betroffenen sehr stark in den Mittelpunkt seiner Argumentation rückt, und nicht eben die Vulnerabilität des Betroffenen aufgrund seiner Erkrankung und die sich daraus ergebenen Konsequenzen im Falle einer Rückkehr nach Griechenland.

Das BAMF übrigens hat beantragt, meinen Abänderungsantrag abzulehnen. Dort hält man eine Lungentuberkulose also offenbar nicht für einen Grund, jemanden nicht nach Griechenland abzuschieben.

Kurze prozessuale Fußnote: Ein Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO setzt grundsätzlich voraus, dass man sich auf „veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände“ beruft. Daran hätte man hier möglicherweise zweifeln können, denn die stationäre Aufnahme des Betroffenen und die Bekanntgabe des ersten, ablehnen Eilbeschlusses haben sich hier um wenige Tage überschnitten. Da ich mir dieser Problematik bewusst war, habe ich bereits in meinem Antrag auch die Anregung untergebracht, von der in § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO geregelten Möglichkeit, dass das Gericht seinen Beschluss auch von Amts wegen selbst ändern kann. Diese Möglichkeit hat das Gericht jederzeit; es handelt sich hierbei jedoch eben um eine Ermessensentscheidung des Gerichts, ob es von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. In diesem Falle hat es das getan.

VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 09.12.2025, 18a L 2385/25.A (Beschluss im aufenthaltswiki)


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