Zeiten, in denen in der Öffentlichkeit über Abschiebungen diskutiert wird (also eigentlich immer), sind stets schwer zu ertragen. Politiker*innen suhlen sich in rechtem Populismus, und, als wäre das nicht schon schlimm genug, wird dies noch begleitet, von einer kakophonischen medialen Berichterstattung, der es kaum gelingt, grundlegende Begriffe des Migrationsrechts auseinanderzuhalten. Was es über den Zustand unseres Rechtsstaats aussagt, dass das Migrationsrecht mittlerweile so kompliziert geworden ist, dass selbst gestandene (Justiz-)Journalist*innen regelmäßig daran scheitern, die Rechtslage halbwegs unfallfrei zu beschreiben, während von den Betroffenen selbst mit größter Selbstverständlichkeit erwartet wird, sich darin zurechtzufinden, ist die eine Frage. Die andere Frage ist, welchen Sinn eine öffentliche Debatte überhaupt noch haben kann, wenn kaum jemand der an der Debatte beteiligten Personen überhaupt verstanden hat, worüber sie überhaupt diskutiert.
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Unter der Überschrift „Attentäter von Mannheim: Ein gut integrierter Einzeltäter“ schreibt das Flaggschiff des deutschen Qualitätsjournalimus, die FAZ: „Eine Abschiebung von A. kam für die Behörden nicht infrage, weil abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan subsidiären Schutz genießen.“ Der Satz nötigt mir einigen Respekt ab, denn an dem Satz stimmt so ziemlich gar nichts. Das muss man erstmal hinbekommen.
Was ist eigentlich ein Asylantrag?
Was ein Asylantrag ist bzw. was er umfasst, ist in Deutschland geregelt in § 13 AsylG. In dessen Absatz 2 heißt es:
Mit jedem Asylantrag wird die Anerkennung als Asylberechtigter sowie internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 beantragt. Der Ausländer kann den Asylantrag auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränken.
Wer also einen Asylantrag stellt, erklärt in der Regel, das heißt, wenn sie*er den Asylantrag nicht ausdrücklich beschränkt, die Anerkennung als Asylberechtigter sowie „internationalen Schutz“. Auf die Asylberechtigung will ich an dieser Stelle nicht noch einmal eingehen, weil sie praktisch keine große Rolle mehr spielt; dazu hatte ich hier bereits einiges geschrieben. Worum es praktisch geht, ist also der „internationale Schutz“. Und was ist das schon wieder? Dazu verweist § 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG eben auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, und der wiederum verweist auf irgendwelche EU-Richtlinien, die uns hier nicht weiter zu interessieren brauchen; bezogen auf das deutsche AsylG geht es praktisch um die Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (§ 3 AsylG) oder den sog. subsidiären Schutz (§ 4 AsylG). Es zeigt sich also, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), also die Behörde, die dafür zuständig ist, über Asylanträge zu entscheiden, verschiedene Schutzstatus zu prüfen hat, nämlich insgesamt vier an der Zahl: Flüchtlingseigenschaft, Asylberechtigung, subsidiärer Schutz und die sog. Abschiebungsverbote. In der Praxis werden nicht immer alle Schutzstatus ausdrücklich geprüft. Wenn beispielsweise der subsidiäre Schutz zuerkannt wird, kann das BAMF sich eine Entscheidung über Abschiebungsverbote regelmäßig sparen, weil sie der*dem Betroffenen keinen zusätzlichen Nutzen bringen würde, es also schlicht egal ist und damit überflüssiger Aufwand wäre, hier trotzdem auf einer ausdrücklichen Entscheidung zu bestehen. Ausdrücklich kann man das alles in § 31 AsylG nachlesen.
Hieraus ergibt sich bereits: Die Prüfung des subsidiären Schutzstatus ist Bestandteil eines Asylverfahrens. Wenn jemand also subsidiären Schutz bekommt, dann wurde ihr*sein Asylantrag gerade nicht abgelehnt; im Gegenteil, ihr*sein Asylantrag war dann zumindest teilweise erfolgreich. Entsprechend tenoriert das BAMF, wenn es jemandem den subsidiären Schutzstatus zuerkennt, den Asylantrag aber ablehnt, soweit es um die Flüchtlingseigenschaft oder die Asylberechtigung geht:
Schon deswegen ergibt der Satz aus FAZ keinen Sinn: Entweder der Asylantrag wurde abgelehnt, oder „A.“ hatte subsidiären Schutz. Beides gleichzeitig geht nicht.
Was ist eigentlich subsidiärer Schutz?
Man mag das so weit als juristische Haarspalterei abtun. Was mich mehr ärgert, ist, dass hier der Eindruck vermittelt wird, es sei ein Automatismus, dass Geflüchtete aus Afghanistan subsidiären Schutz bekommen. Auch das ist Unfug.
Das Gesetz sieht in § 4 Abs. 1 AsylG die Zuerkennung subsidiären Schutzes vor, wenn mindestens eine dieser Voraussetzungen vorliegt:
- die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
- Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
- eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird in jedem Einzelfall geprüft. Auch für Menschen aus Afghanistan und aus Syrien. Das BAMF legt darauf in seinen Schriftsätzen an Verwaltungsgerichte übrigens auch immer großen Wert. Einen Automatismus „Wenn du aus Land X kommt, bekommst du Schutzstatus Y“ gibt es nicht, nie. Auch nicht für Menschen und aus Afghanistan und erst recht nicht für Menschen aus Syrien.
§ 4 Abs. 2 AsylG sieht zudem vor, dass Menschen aus bestimmten, individuellen Gründen vom subsidiären Schutz ausgeschlossen sein können. Das betrifft insbesondere Straftäter*innen. Ein solches Gesetz gibt es also schon und es wird auch jetzt schon angewandt.
Weitere praktisch relevante Einschränkungen folgen aus § 4 Abs. 3 AsylG, der insbesondere vorgibt, dass die Gefahr von bestimmten, in § 3c AsylG benannten Akteur*innen ausgehen muss.
Entscheidungspraxis des BAMF zu Syrien
Richtig ist aber immerhin, dass das BAMF Menschen aus Syrien in der Regel den subsidiären Schutzstatus zuerkannt. Dies wohl wegen des anhaltenden Bürgerkrieges dort, also gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (aktuelle Informationen zur Lage dort gibt es etwa bei der Bundeszentrale für politische Bildung).
Wenngleich das Bundesamt weiterhin regelmäßig davon ausgeht, dass eine beachtlich relevante Gefährdung von Zivilpersonen durch den Bürgerkrieg vorliegt, erfolgt auch jetzt schon eine Einzelfallprüfung. Auch Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen können abgelehnt werden, wenn sie beispielsweise schon von einem anderen Mitgliedstaat der EU als schutzberechtigt anerkannt wurden, oder eben, wenn das BAMF meint, dass die Person schwere Straftaten begangen habe. In diesem Falle wird allerdings möglicherweise ein Abschiebungsverbot festgestellt, dazu sogleich mehr.
Entscheidungspraxis des BAMF zu Afghanistan
Die Entscheidungspraxis des BAMF zu Afghanistan ist hingegen gänzlich anders. Auch deswegen ist das Zitat der FAZ so unsinnig. In Bezug auf Afghanistan sind Entscheidungen, in denen subsidiärer Schutz zuerkannt wird, jedenfalls seit der erneuten Machtübernahme durch die Taliban eher ungewöhnlich.
Tatsächlich gibt es hier, um mal einen Begriff aus meinem alten Bio-LK zu verwenden, einen starken Geschlechtsdimorphismus: Frauen und Mädchen werden vom BAMF in der Regel als Flüchtling anerkannt, weil auch das BAMF mittlerweile davon ausgeht, dass die frauenfeindliche Politik der Taliban regelmäßig als geschlechtsspezifische politische Verfolgung einzustufen ist. Auch hier erfolgt aber stets eine Einzelfallprüfung.
Bei Jungen und Männern ist es noch anders. Hier geht das BAMF in der Regel weder von politischer Verfolgung aus, noch sieht es die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als gegeben an. Tatsächlich wird schon jetzt ein Großteil der Asylanträge von Männern aus Afghanistan abgelehnt. Die meisten von ihnen bekommen aber ein Abschiebungsverbot.
Ein… was?!
Ich hatte bereits erwähnt, dass ein Asylantrag per definitionem die Asylberechtigung, die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus zuerkannt, dass es aber noch einen vierten Schutzstatus gibt, der im Zuge eines Asylverfahrens ebenfalls durch das BAMF zu prüfen ist: Die Abschiebungsverbote. Derer gibt es zwei: § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im hiesigen Zusammenhang können wir uns auf § 60 Abs. 5 AufenthG beschränken. § 60 Abs. 5 AufenthG verweist auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und besagt sinngemäß, dass Abschiebungen unzulässig sind, wenn sie gegen die EMRK verstoßen. In der Praxis geht es dabei in den allermeisten Fällen um Art. 3 EMRK, das Verbot der Folter:
Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besagt also im Prinzip, dass ein Abschiebungsverbot vorliegt, wenn jemand durch die Abschiebung einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen würde.
Die EU hat diese Formulierung 1:1 in Art. 4 ihrer Grundrechtecharta übernommen. Falls irgendjemand bis hierher aufmerksam gelesen haben sollte, wird diese Formulierung ihr*ihm möglicherweise bekannt vorkommen: Sie taucht nämlich auch schon bei den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz auf.
Aber das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!
Also, wie jetzt, es gibt zwar keinen subsidiären Schutz, aber ein Abschiebungsverbot dann doch, obwohl die Voraussetzungen so mehr oder weniger dieselben sind? Das ist doch völlig widersprüchlich!
Nun, ja. Zum einen kennt § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK eben keine individuellen Ausschlussgründe im Sinne des § 4 Abs. 2 AsylG. Auch Straftäter*innen können ein entsprechendes Abschiebungsverbot bekommen. Leider leben wir in Zeiten, in denen dies erklärungsbedürftig ist: Ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift folgt daraus, dass einer betroffenen Person in dem Land, in das sie abgeschoben werden soll, eine gravierende Menschenrechtsverletzung droht, nämlich ein Verstoß gegen das Verbot der Folter. Die EMRK basiert auf der Vorstellung universeller Menschenrechte, also der Vorstellung, dass jeder Mensch, alleine aufgrund der Tatsache, dass er ein Mensch ist, bestimmte Rechte besitzt, und eines dieser Rechte ist eben, nicht gefoltert zu werden. In der Konsequenz ist eben auch die Abschiebung von Straftäter*innen unzulässig, wenn hiermit eine Verletzung von Art. 3 EMRK einhergehen würde. Diverse Äußerungen von Politiker*innen diverser Parteien geben Anlass zur Sorge, dass diese Vorstellung zunehmend unter Druck geraten könnte.
Hinzu kommt ein anderer Aspekt: Angetrieben durch einige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist in der Entscheidungspraxis von BAMF und Verwaltungsgerichten mittlerweile anerkannt, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK auch vorliegen kann im Falle extremer, existenzbedrohender Armut, die es unmöglich macht, menschliche Grundbedürfnisse, die von deutschen Verwaltungsgerichten gerne mit der Formel „Brot, Bett, Seife“ zusammengefasst werden, zu befriedigen. Diese Frage stellt sich in Bezug auf Länder, in denen tiefgreifende ökonomische Krisen herrschen. Wie eben beispielsweise Afghanistan oder auch Somalia. Die Frage stellt sich aber auch in Bezug auf Syrien, denn auch dort ist die wirtschaftliche Lange nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg mehr als desolat. Nach der in Deutschland vorherrschenden Lesart wird in diesen Fällen allerdings kein subsidiärer Schutz zuerkannt, obwohl § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG sinngemäß identisch ist mit Art. 3 EMRK. Denn es soll an der notwendigen Zurechnung zu einem Verfolgungsakteur (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG) fehlen.
In Bezug auf Syrien droht freilich auch noch Folter im buchstäblichen Sinne aus einem anderen Grund: Das Assad-Regime kämpft im Bürgerkrieg gegen diverse islamistische Milizen. Wer also in Verbindung mit Islamismus gebracht wird, läuft schon deswegen Gefahr vom Assad-Regime als Gegner*in betrachtet und also im Falle einer gedachten Rückkehr nach Syrien auch entsprechend behandelt zu werden. Schon deswegen dürfte es praktisch kaum möglich sein, Islamist*innen nach Syrien abzuschieben.
So kommt es durchaus vor, dass Asylanträge von Menschen aus Syrien oder Afghanistan abgelehnt werden, dann aber trotzdem ein Abschiebungsverbot zu Ihren Gunsten festgestellt wird.
Um also Abschiebungen nach Syrien und/oder Afghanistan in größerem Stil zu ermöglichen, müsste man bereit sein, die EMRK über Bord zu werfen. Es ist eben kein Zufall, dass Leute wie Sunak in Bezug auf Ruanda schon einmal vorsorglich ankündigen, den EGMR zu ignorieren.
Subsidiären Schutz abschaffen?
Eine Forderung, die immer wieder erhoben wird, ist die Abschaffung des subsidiären Schutzes i.S.d. § 4 AsylG. Irritierenderweise haben selbst gestandene Rechtsprofessoren wie Hailbronner sich schon in diese Richtung geäußert. Alternativ wird gefordert, den subsidiären Schutz zu einer Ermessensentscheidung umzugestalten, oder ähnlicher Unsinn. Selbst wenn die Auffassung teilen würde, dass wir die Zahl der Geflüchteten in Deutschland reduzieren und mehr Meschen abschieben müssten, was ausdrücklich nicht meine Position ist: Tatsächlich muss wohl bezweifelt werden, dass es sich hierbei um eine geeignete Maßnahme handeln würde, um dieses Ziel zu erreichen. Denn, wie ausgeführt, gibt es starke Überschneidungen zwischen den Voraussetzungen für subsidiären Schutz und denjenigen für ein Abschiebungsverbot. Selbst, wenn diese Personen also keinen subsidiären Schutz mehr bekämen, dürften wohl die allermeisten von ihnen dennoch ein Abschiebungsverbot bekommen, und dürften somit dennoch in Deutschland bleiben. Das Versprechen, die Zahl der Geflüchteten durch eine Abschaffung subsidiären Schutzes in nennenswertem Umfang reduzieren zu können, dürfte sich daher einreihen in die lange Liste leerer Versprechungen im Migrationsrecht, von deren Nichterfüllung am Ende nur die AfD profitieren würde.
Abgelehnt ist nicht abgeschoben
Tatsächlich gibt es, insbesondere in Bezug auf Männer aus Afghanistan, auch jetzt schon eine Reihe von Entscheidungen, mit denen das BAMF Asylanträge vollständig ablehnt, zudem auch kein Abschiebungsverbot feststellt. Abgeschoben werden sie trotzdem nicht – bis jetzt jedenfalls.
Zu den Gründen ist schon einiges geschrieben worden, und daran ist tatsächlich auch mal nicht alles falsch. Es gibt keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu den frauenhassenden Taliban und dem Putin-Verbündeten Assad. Für Abschiebungen müsste man in Kontakt mit diesen menschenverachtenden Regimen treten. Dies würde sie zwangsläufig aufwerten, sicher würden sie sich die Bereitschaft, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, auch üppig vergüten lassen. Ob insbesondere die Grünen dies mit ihrer Vorstellung von feministischer Außenpolitik werden vereinbaren können, bleibt abzuwarten (ich habe da so eine Ahnung).
Selbst, wenn man dies alles umsetzen würde, ist es abwegig, anzunehmen, dass es in absehbarer Zeit in größerem Umfang Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien geben könnte. Bestenfalls – und damit meine ich hier schlechtestenfalls – könnte es wieder eine Situation geben, wie es um 2021, 2022 herum gab, als einmal im Monat zehntausende Euro verschwendet wurden, um ca. 20 Männer nach Afghanistan auszufliegen.
In den übrigen Fällen wird der Unterschied zwischen Schutzstatus und kein Schutzstatus sich im Wesentlich darauf beschränken, ob man eine Aufenthaltserlaubnis bekommt oder nur eine Duldung. Und, wie schon Goethe sagte: Dulden heißt Beleidigen. In einem aufenthaltsrechtlichen Kontext bedeutet Duldung vor allem, dass man es Menschen möglichst schwer macht, sich zu integrieren, indem beispielsweise der Zugang zum Arbeitsmarkt drastisch eingeschränkt wird. Und was könnte da schon schiefgehen?
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