Abschiebungsverbot für alleinerziehende Frau aus dem Irak

Dieser Fall macht deutlich, wie die von der Bundesregierung, ihren Vorgängerinnen und den sie tragenden Parteien betriebenen rassistischen Diskurse mittlerweile zu einer Verrohung des Verwaltungshandelns geführt haben. Die Stadt Krefeld traf konkrete Vorbereitungen zur Abschiebung einer alleinstehenden Frau mit drei Kindern im Alter von sieben bis dreizehn Jahren in den Irak. Um es mal deutlich zu sagen: So etwas hätte es vor, sagen wir mal, zwei oder drei Jahren noch nicht gegeben. Mittlerweile sind wir hier angekommen.

Weiterlesen: Abschiebungsverbot für alleinerziehende Frau aus dem Irak

Jedenfalls betrieben die Betroffenen erfolglos ein Asylverfahren und wurden danach zunächst geduldet. Nachdem deutlich wurde, dass die Abschiebung unmittelbar bevor stand, habe ich hastig einen sog. Wiederaufgreifensantrag oder auch Folgeschutzantrag gestellt. Die exakte Terminologie scheint mir insoweit uneinheitlich zu sein; wichtig ist, dass es sich nicht um einen Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylG handelt, da nicht die Durchführung eines neuen Asylverfahrens begehrt wird, sondern nur beantragt wird, über die sog. „nationalen Abschiebungsverbote“ (§ 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG) neu zu entscheiden. Diese Fälle werden alleine durch nationales Verwaltungsrecht (§ 51 VwVfG) und sind damit den besonderen Bestimmungen, die das Asylgesetz für Asylverfahren vorsieht, und ihrem unionsrechtlichen Überbau entzogen. Das hat einerseits den Vorteil, dass der Antrag schriftlich gestellt werden kann, weil die Verpflichtung zur persönlichen Antragstellung (§ 71 Abs. 2 AsylG) entfällt und der Antrag also auch schriftlich gestellt werden kann. Es hat aber freilich andererseits auch den Nachteil, dass der Antrag kein Abschiebungshindernis auslöst, weil § 71 Abs. 5 AsylG (nach herrschender Meinung zumindest) ebenfalls nicht anwendbar ist. Die Ausländerbehörde braucht die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) also nicht abzuwarten, sondern darf, obwohl der Antrag gestellt wurde, die in dem früheren Bescheid des BAMF enthaltene Abschiebungsandrohung vollziehen.

Da ich ja nun wusste, dass die Abschiebung unmittelbar bevorstand, habe ich mich freilich nicht darauf verlassen wollen, dass die Ausländerbehörde die Entscheidung über meinen Antrag abwartet. Aus diesem Grunde habe ich flankierend zu meinem Antrag an das BAMF auch einen Antrag auf Erlass einer einsteiligen Anordnung (§ 123 VwGO) an das zuständige Verwaltungsgericht (VG) gestellt, mit dem Ziel, dass das Gericht das BAMF anweisen möge, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass sie die Betroffenen vorläufig nicht abschieben dürfen. Diesem Antrag gab das VG statt und findet dabei klare Worte zur Situation alleinstehender Frauen im Irak:

Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert. Frauen sind im Alltag Diskriminierungen ausgesetzt, die ihre gleichberechtigte Teilnahme am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben im Irak verhindern. In den Familien sind patriachalische Strukturen weit verbreitet. Alleinlebende Frauen sind im gesamten Irak ein völlig unübliches Phänomen. Die permanente Kontrolle unverheirateter bzw. verwitweter oder geschiedener Frauen durch männliche Familienmitglieder ist zentraler Bestandteil irakischer Moral- und Ehrvorstellungen. Es wird erwartet, dass sich die Frauen den männlichen Familienmitgliedern unterordnen. Frauen, die sich dem widersetzen, können Opfer von Gewalt im Namen der Ehre werden. Als Frau alleinstehend zu leben, wird im Irak in der Regel nicht akzeptiert, weil es als unangemessenes Verhalten betrachtet wird. Eine Frau, die alleine oder mit einem oder mehreren Kindern aus einer früheren Beziehung lebt, fällt nicht nur auf, sie wird vielmehr von breiten gesellschaftlichen Schichten gemieden bzw. sozial ausgegrenzt, von Männern wie auch von Frauen. Ohne männlichen Schutz sind alleinstehende Frauen dem Risiko körperlicher Misshandlungen ausgesetzt. Sofern diese Frauen Kinder haben, die von ihnen abhängig sind, besteht für diese ebenfalls das Risiko von Misshandlungen. Für eine alleinstehende Frau ohne verwandtschaftliche Kontakte und Unterstützung erweisen sich zahlreiche Alltagshandlungen wie etwa das Finden einer Wohnung als extrem schwierig. Je jünger die Frau ist, umso schwieriger ist ihre Lage. Zudem besteht gerade bei jungen Frauen die Gefahr sexueller Übergriffe und Belästigungen. […]

Die beschriebenen, gezielt an das weibliche Geschlecht anknüpfenden Verfolgungshandlungen gegenüber alleinstehenden Frauen ohne schutzbereite männliche Familienangehörigen sind aufgrund ihrer Art und Wiederholung so gravierend, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Für den Eintritt dieser Verletzung besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit. Alleinstehenden Frauen drohen ohne männliche schutzbereite Familienangehörige jederzeit sexuelle oder andere gewalttätige Übergriffe, Obdachlosigkeit, wirtschaftliche Not, soziale Isolierung und Demütigung. Die genannten Verfolgungshandlungen drohen nicht nur selten, sondern sie sind üblich und drohen jederzeit. Da eine alleinstehende Frau ohne männliche schutzbereite Familienangehörige sich notgedrungen alleine in der Öffentlichkeit bewegen muss, um eine Wohnung zu mieten, zu arbeiten und sich zu versorgen, kann sie die bestehenden Gefahren auch nicht umgehen.

Nachdem das Gericht in diesem Beschluss deutlich gemacht hat, dass die Voraussetzungen für die Feststellung eines entsprechenden Abschiebungsverbots vorliegen, hat das BAMF dann auch recht zeitnah über meinen Antrag entschieden und das entsprechende Abschiebungsverbot festgestellt.

VG Düsseldorf, Beschluss vom 29.08.2025, 9 L 2759/25.A (Volltext im aufenthaltswiki)


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Consent Management Platform von Real Cookie Banner