Driving home for christmas… unless you are a refugee!

Heute, wenn ich diesen Post verfasse, ist Heiligabend. Weihnachten steht vor der Tür. Viele Menschen werden in den kommenden Tagen „nach Hause“ fahren, wo auch immer das für sie ist. Und doch gibt es eine Personengruppe, für die es eher außergewöhnlich ist, nach Hause zu fahren, einerseits, weil es gar nicht so einfach möglich ist, andererseits aber auch, weil sie sich dann verdächtig macht: Geflüchtete.

Es erscheint ja auch logisch: Wenn jemand sagt, sie*er könne nicht in ihr*sein Herkunftsland, weil ihm*ihr dort Lebensgefahr drohe, so ist es doch widersprüchlich, wenn sie*er dann freiwillig dorthin zurückkehrt. Oder etwa nicht?

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Tatsächlich erscheint der vermeintliche Widerspruch auf den zweiten Blick schon längst nicht mehr so widersprüchlich, jedenfalls nicht in jedem Fall. Denn, wie ich ja schon in verschiedenen anderen Postings hier durchexerziert habe, gibt es verschiedene Schutzstatus, die an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft sind.

Der Eindruck eines Widerspruchs knüpft dabei an die Vorstellung der „klassischen“ politische Verfolgung durch den Staat an. Also, nehmen wir an, ich komme aus dem Iran und habe meinen Asylantrag damit begründet, dass ich vom Islam abgefallen und zum Christentum konvertiert sei. Deswegen drohe mir als Konvertit im Iran die Todesstrafe. Dies hat man mir geglaubt und ich wurde als Flüchtling anerkannt. Wenn ich jetzt aber in den Iran zurückkehre, um beispielsweise meine Eltern zu besuchen, wirft das in der Tat Fragen auf: Setze ich mich damit nicht unmittelbar Lebensgefahr aus? Warum tue ich das? Ist es mit der Gefahr vielleicht doch nicht so weit her?

Der Gesetzgeber ist sich der Thematik durchaus schon länger bewusst. Deswegen war bis zum Ende des Jahres 2022 als Erlöschenstatbestand in § 72 AsylG und ist seither als Widerrufsgrund in § 73 Abs. 1 AsylG geregelt, dass die Flüchtlingseigenschaft und wie Asylberechtigung verlieren kann, wer „sich freiwillig erneut dem Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt“ oder „freiwillig in das Land, das er aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder außerhalb dessen er sich aus Furcht vor Verfolgung befindet, zurückgekehrt ist und sich dort niedergelassen hat“. Dass eine „Heimreise“ zum Verlust des Schutzstatus führen kann, ist also gar nichts Neues, sondern steht schon lange im Gesetz. Allerdings sind die Voraussetzungen hierfür im Einzelnen relativ kompliziert; es würde den Rahmen eines Blogposts sprengen, dies an dieser Stelle zu vertiefen.

Jedenfalls hat das Bundesverwaltungsgericht bereits vor einigen Jahren anerkannt, dass nicht jede „Heimreise“ zwangsläufig zum Verlust des Schutzstatus führt:

Auch Reisen eines Asylberechtigten oder Flüchtlings in seine Heimat führen nicht zwingend zu der Annahme, dass sich der Ausländer dem Schutz seines Heimatstaates erneut unterstellen will (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Februar 2017, § 72 AsylG Rn. 16).

[BVerwG, Urteil vom 27.07.2017, 1 C 28.16, Rn. 35]

Es kann nämlich durchaus Fallkonstellationen geben, in denen jemand bereit ist, ein hohes persönliches Risiko auf sich zu nehmen. Das klassische Beispiel hierfür ist der Wunsch, sich von der schwerkranken Mutter zu verabschieden.

Noch mal komplizierter wird es, wenn man den Blick etwas weitet und anderer Formen der Verfolgung sowie die weiteren Schutzstatus, jenseits von Flüchtlingseigenschaft und Asylberechtigung in den Blick nimmt.

Nehmen wir einmal an, ich sei eine lesbische Frau, und komme aus einem Land, in dem lesbische Frauen verfolgt werden. Für eine Woche so zu tun, als sei ich heterosexuell, mag ich mir vielleicht zumuten wollen, wenn ich dafür meine geliebte Familie wiedersehen kann. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass ein länger andauernder Aufenthalt für mich ebenso zumutbar wären. Daneben mag es freilich auch andere LGBTIQ*-Personen geben, für die wäre es gänzlich unzumutbar, sich als irgendwas zu geben, was sie nicht sind. Das ist freilich nicht weniger legitim, denn, und das ist mein Punkt: Es ist eben eine sehr persönliche Entscheidung. Wo da meine Grenze ist, kann nur ich selbst für mich selbst definieren. Warum sind Politik und Behörden da überhaupt so übergriffig, hierfür eine Rechtfertigung einfordern zu wollen?

Ähnliche Fragen stellen sich in Bezug auf Personen, die beispielsweise ein Abschiebungsverbot eher aus humanitären Gründen zuerkannt bekamen. Ich selbst bin Epileptiker. Ich bekomme meist im Voraus Tabletten für so ca. drei Monate verschrieben. Nehmen wir einmal an, ich hätte ein Abschiebungsverbot wegen meiner Epilepsie bekommen, weil meine Tabletten in meinem Herkunftsland nicht verfügbar seien: Solange mein Tablettenvorrat reicht und ich meine Tabletten mit mir führe, geht es die Behörden gar nichts an und sagt es gar nichts über meine Schutzbedürftigkeit aus, wo ich mich mit meinen Tabletten aufhalte. Eigenartig wäre es allenfalls, wenn ich schon länger ganz ohne Tabletten unterwegs wäre und trotzdem keine neuen Anfälle erleiden würde.

Missgunst als oberste Handlungsmaxime deutscher Innenpolitik

Leider, und das ist so gar nicht weihnachtlich: Für deutsche Innenpolitiker*innen ist es ein unerträglicher Gedanke, dass es Geflüchteten besser gehen könnte, als nach den Umständen vermeidbar. In der deutschen Politik ist man sich darüber einig, dass die einzig akzeptable Antwort auf die Trostlosigkeit des eigenen Daseins darin bestehen kann, auch anderen Menschen ein trostloses Dasein aufzuzwingen.

Deswegen hat man sich, spätestens nach dem – zweifellos entsetzlichen – Anschlag in Solingen „Heimreisen“ von Geflüchteten als das neue große Ding herausgesucht, dass es zu bekämpfen gilt. Ob solche „Heimreisen“ überhaupt in nennenswerter Anzahl stattfinden, weiß man nicht so genau, aber das tut auch nichts zur Sache, denn Fakten zählen nichts, wenn man denn nur hofft, endlich mehr abschieben zu können.

Neuregelungen zu „Heimreisen“

Also hat man zwei neue Regelungen ins Gesetz aufgenommen, denen die missgünstige Piefigkeit aus allen Poren tropft:

Da wäre zum einen der eingeführte § 73 Abs. 7 AsylG:

(7) 1Reist der Ausländer in den Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder wenn er staatenlos ist, in den Staat, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wird vermutet, dass die Voraussetzungen für die Asylberechtigung, die Zuerkennung des internationalen Schutzes oder die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Absatz 5 oder Absatz 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht mehr vorliegen. 2Die Vermutung nach Satz 1 gilt nicht, wenn die Reise sittlich zwingend geboten ist.

In Zukunft soll eine „Heimreise“ also in der Regel zu einem Widerrufsverfahren führen. Man will also offenbar die praktischen Voraussetzungen für ein Widerrufsverfahren absenken, indem man eine Vermutung einführt: Wenn du in dein Herkunftsland zurückgekehrt bist, gehen wir davon aus, dass du keinen Schutz mehr brauchst, und der Schutzstatus zu widerrufen ist. Allerdings handelt es sich dennoch um einen Widerruf, nicht um ein Erlöschen. Das bedeutet, es muss dennoch ein Verwaltungsverfahren geben, indem den Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, sich zu äußern, es muss einen Bescheid geben und gegen den Bescheid kann auch noch geklagt werden, regelmäßig mit aufschiebender Wirkung (die allerdings unter Umständen auch entfallen kann).

Die Vermutung gilt aber nicht, „wenn die Reise sittlich zwingend geboren ist“. Damit dürften eben Fälle gemeint sein, wie der bereits genannte Abschied von der schwer kranken Mutter.

Anzeigepflicht: § 47b AufenthG

Ein wenig versteckt, nämlich relativ weit hinten im AufenthG und nicht im AsylG, wurde auch eine neue Anzeigepflicht aufgenommen:

1Asylberechtigte und Ausländer, denen internationaler Schutz (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) zuerkannt oder für die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder Absatz 7 festgestellt worden ist, sind verpflichtet, Reisen in ihren Herkunftsstaat sowie den Grund der Reise vor Antritt der Reise gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde anzuzeigen. 2Diese leitet nach § 8 Absatz 1c des Asylgesetzes die Anzeigen an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Prüfung des Widerrufs der Rechtsstellung weiter.

Wichtig dabei ist, dass es nach § 98 Abs. 2 Nr. 2b AufenthG eine Ordnungswidrigkeit ist, wenn man die Anzeige unterlässt! Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu tausend Euro geahndet werden (§ 98 Abs. 5 AufenthG)!

Aus meiner Beratungspraxis weiß ich, dass Menschen vor geplanten Reisen bisweilen verunsichert sind, ob sie diese wirklich antreten können, oder ob ihnen dann ein Widerruf droht. Würde man ein solches Verfahren auf eine Weise ausgestalten, dass die zuständigen Behörden dann vor Reiseantritt verpflichtet wären, verbindlich festzustellen, ob eine Reise „sittlich zwingend geboten“ ist, so dass alle Beteiligten anschließend Rechtssicherheit besitzen, könnte ich so einer Regelung möglicherweise sogar nocht etwas abgewinnen. Das lässt sich dem Gesetzestext so allerdings nicht entnehmen. Es wird also wohl auch wie bisher so sein, dass man das Risiko eben eingehen muss.

Leben und leben lassen

Es sind übrigens auch gerade die deutschen Behörden, die Geflüchtete dazu drängen, mit den Behörden ihrer Herkunftsländer in Kontakt zu treten. So berufen sich gerade Standesämter gerne auf das oben zitierte Urteil des BVerwG, um auch von anerkannten Flüchtlingen zu verlangen, Pässe bei den Botschaften ihrer Herkunftsländer zu beantragen, wenn sie beispielsweise Geburtsurkunden für ihre Kinder möchten. Merkwürdigerweise habe ich dazu noch kein kritisches Wort von Frau Faeser und ihren Kolleg*innen gehört. Dort sieht man Kontaktaufnahmen mit den Behörden der Herkunftsländer immer nur als problematisch an, wenn sie von den Geflüchteten selbst ausgehen.

Zu Weihnachten stünde es uns gut zu Gesicht, weniger darauf zu schauen, was andere machen, und uns stattdessen zu fragen, was wir tun können, damit es uns besser geht. Nein, wenn jetzt der Schutzstatus eines Afghanen, der seine Eltern besucht hat, widerrufen wird, wird gar nichts für dich besser. Weder zahlst du weniger Miete, noch sinkt dein Krankenkassenbeitrag. Der einzige Effekt ist, dass einem anderen Menschen jetzt auch schlechter geht, und, selbst wenn ich an Jesus Christus als den Messias glauben würde, würde ich nicht glauben, dass er dafür am Kreuz gestorben wäre.

Ist es denn nicht auch sehr nachvollziehbar, wenn Menschen, die lange Zeit weit weg von zu Hause wohnen, auch irgendwann mal die Sehnsucht nach ihren Liebsten überkommt? Warum muss man es überhaupt mit so viel Argwohn betrachten, wenn Leute einfach nur tun, was für die meisten von uns hier völlig normal ist, wie eben, beispielsweise, ein Besuch bei den Eltern. Beispielsweise an Weihnachten.

In diesem Sinne wünsche ich euch, liebe Leser*innen, auch im Namen meines Teams, schöne Feiertage, und einen guten Rutsch in ein möglichst abschiebungsarmes Jahr 2025!


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