In diesem rechtskräftigen Urteil setzt sich das VG Gelsenkirchen mit den Voraussetzungen für eine Verlängerung der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Dublin III-VO auseinander. Gemäß Artikel 29 Abs. 1 Dublin III-VO hat eine Überstellung im Dublin-Verfahren grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten nach der Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat zu erfolgen, wobei ein Rechtsbehelf (Klage mit aufschiebender Wirkung bzw. Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage) ggf. zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist führen kann. Wird die Überstellung nicht innerhalb dieser Frist durchgeführt, geht die Zuständigkeit über und die Überstellung ist nicht mehr zulässig (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO).
Diese Frist kann ggf. aber verlängert werden, und zwar nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auf ein Jahr, wenn die Überstellung aufgrund Inhaftierung nicht möglich ist, oder auf achtzehn Monate, wenn die betroffene Person „flüchtig“ ist. Im vorligenden Verfahren ging das BAMF davon aus, dass es die Überstellungsfrist wegen „Flüchtigseins“ wirksam verlängert habe. Zu Unrecht, wie das VG Gelsenkirchen entschied.
Weiterlesen: Dublin-Verfahren: Verlängerung der Überstellungsfrist nur, wenn „Flüchtigsein“ noch andauertDem Betroffenen war der Termin für die beabsichtigte Abschiebung in die Niederlande vorab mitgeteilt worden. Als man ihn an diesem Morgen abholen wollte, war er jedoch nicht da. Seine Ehefrau gab an, er sei in der Apotheke, um Medikamente zu holen, der Hausmeister bestritt dies. Das BAMF hatte daraufhin am folgenden Tag den Niederlanden mitgeteilt, dass die Überstellungsfrist verlängert werde. Das Gericht konnte jedoch nicht feststellen, dass der Betroffene zu diesem Zeitpunkt, also zum Zeitpunkt der Mitteilung der Verlängerung der Überstellungsfrist an die niederländischen Behörden, immer noch flüchtig war. Dies hält das Gericht jedoch für maßgeblich:
Wie aus der Verwendung der Zeitform des Präsens in Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO („flüchtig ist“) folgt, muss der Antragsteller im Zeitpunkt der Verlängerung der Dublin-Überstellungsfrist noch (aktuell) flüchtig sein, die Flucht also noch fortbestehen.
Da sich eben die Ehefrau und Kinder des Betroffenen noch in der Unterkunft aufgehalten haben, drängen sich aus Sicht des Gerichts Zweifel auf, ob der Betroffene wirklich auch am nächsten Tag noch flüchtig war. Das Gericht hält es vielmehr für naheliegend, dass der Betroffene, nachdem die Mitarbeiter*innen der Ausländerbehörde die Unterkunft wieder verlassen hatte, wieder zu seiner Familie zurückgekehrt sein dürfte. Auf die Frage, ob der Betroffene überhaupt jemals flüchtig war (Woher will der Hausmeister wissen, dass er nicht wirklich in der Apotheke war, um Medikamente zu holen?) kam es aus Sicht des Gerichts daher nicht an, sodass sich das Gericht mit dieser Frage auch nicht weiter befassen musste; gleichwohl kann man zwischen den Zeilen auch diesbezüglich deutliche Zweifel des Gerichts aus dem Urteil herauslesen.
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18.03.2024, 2a K 3003/23.A
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