Aus § 33 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG folgt, dass ein Asylverfahren einzustellen ist, wenn die betroffene Person untergetaucht ist. Im vorliegenden Fall hat die Ausländerbehörde (ABH) dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mitgeteilt, dass eine Person, die durch mich vertreten wird, untergetaucht sei. Das BAMF hat das Asylverfahren daraufhin, ohne mich nach dem Verbleib der betroffenen Person zu fragen, eingestellt. Den Bescheid hat das BAMF dann auch nicht, wie zu erwarten wäre, an mich zugestellt, sondern an die letzte, dem BAMF bekannte Anschrift der Person selbst. Da sie allerdings schon nicht mehr dort gewohnt hat, ging der Bescheid zurück ans BAMF, sodass weder sie noch ich Kenntnis von dem Bescheid erlangten. Von der ABH erfuhren wir dann, dass das Asylverfahren bestandskräftig abgeschlossen sei. Glücklicherweise sieht das VG Frankfurt am Main das in diesem Beschluss ganz anders.
Weiterlesen: Einstellung des Asylverfahrens wegen „Untertauchens“Zur Zustellfiktion des § 10 Abs. 2 AsylG
Um das Problem zu verstehen, muss man zunächst einen Blick auf § 10 Abs. 2 AsylG werfen. Dort ist die sogenannte „fiktive Zustellung“ geregelt. Nach meiner Kenntnis handelt es sich hierbei um Besonderheit im Asylrecht, die es so in keiner anderen Verfahrensordnung gibt. Im Kern geht es darum, dass unter Umständen so getan wird, als käme ein Bescheid (oder ein sonstiges Schriftstück) bei der betroffenen Person an, obwohl sie es in Wahrheit nie erhalten hat. Dies kann fatale Konsequenzen haben, beispielsweise den Beginn der – im Asylrecht ohnehin recht kurzen – Klagefrist, mit der Folge, dass die Klagefrist schon verstrichen und der Bescheid bestandskräftig sein kann, wenn die betroffene Person Kenntnis von ihm erlangt. So etwas kann man halt auch nur mit Geflüchteten machen. Man stelle sich mal vor, was los wäre, wenn Finanzämter anfangen würden, Steuerbescheide auf diese Weise „fiktiv“ zuzustellen.
Um die Zustellungsfiktion zu verhindern, muss die Person stets ABH, BAMF und ggf. Verwaltungsgericht (VG) über jede Anschriftenänderung unverzüglich informieren (§ 10 Abs. 1 AsylG). Tatsächlich werden Geflüchtete über diese Obliegenheit auch irgendwann mal aufgeklärt, was praktisch so aussieht, dass ihnen irgendwann mal zu Beginn des Asylverfahrens ein dicker Stapel Papier in die Hand gedrückt wird, wo das dann irgendwo drinsteht. Dennoch kann man diese Vorschrift im Jahre 2025 nur noch als antiquierte Schikane betrachten. Die deutschen Behörden speichern diverse Daten von Ausländer*innen inkl. Geflüchteten im „Ausländerzentralregister“ (AZR), was freilich auch schlimm ist, aber das ist wieder ein anderes Thema. Wenn man aber ohnehin diversen Behörden Zugriff auf diverse Daten der Betroffenen einräumt, die dann auch fleißig zu deren Nachteil genutzt werden, dann kann es nicht zu viel verlangt sein, diesen Datenbestand ausnahmsweise auch mal zum Vorteil der Betroffenen zu nutzen, und vom BAMF zu verlangen, dort die aktuelle Anschrift der Betroffenen abzufragen, bevor ein Bescheid zugestellt wird.
Im konkreten Falle kam es auf all das jedoch nicht an. Denn § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG bestimmt ausdrücklich, dass die Zustellfiktion nur gilt, wenn kein die betroffene Person keinen „Bevollmächtigen bestellt“ hatte. Hier hab es aber eben einen Bevollmächtigen – und zwar mich:
Die Erhebung der Klage, deren aufschiebende Wirkung mit dem gestellten Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet werden soll, ist ebenfalls fristgerecht erfolgt. Die ausweislich Blatt 443 der Behördenakte bereits am 01.06.2024 erfolgte Ersatzzustellung des streitgegenständlichen Bescheids in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung per Postzustellungsurkunde (§ 3 VwZG) muss der Antragsteller jedoch nicht gegen sich gelten lassen. Denn nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG muss der Ausländer Zustellungen und formlose Mitteilungen nur dann unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Vorliegend lag jedoch die Bestellung eines Bevollmächtigten vor.
Pflicht des BAMF, Erkundigungen einzuholen
Die vorstehenden Ausführungen betreffen die Zulässigkeit der Rechtsmittel, mithin also die Frage, ob es überhaupt noch möglich ist, den Bescheid des BAMF anzufechten, oder ob die „fiktive“ Zustellung des Bescheides wirksam ist und soweit zurückliegt, dass die Klagefrist schon verstrichen ist.
Eine andere Frage ist, ob das BAMF zurecht davon ausgegangen ist, dass die Person untergetaucht sei und das Verfahren deswegen einstellen durfte. Auch insoweit mach das Gericht dem BAMF jedoch eine klare Ansage: Abgesehen davon, dass bereits nicht so recht nachvollziehbar ist, wie die ABH überhaupt zu der Behauptung gelangt ist, dass die betroffene Person untergetaucht sei, wäre das BAMF jedenfalls verpflichtet gewesen, mich zu fragen, was ich über ihren Verbleib weiß:
Auf welcher Tatsachengrundlage diese Mitteilung [= die Mitteilung der ABH] ihrerseits beruht, ist nicht erkennbar. Weitere – hier gebotene – Nachforschungen hat das Bundesamt weder ausweislich der Behördenakte veranlasst noch im Laufe des gerichtlichen Eilverfahrens behauptet. Jedenfalls hätte die Antragsgegnerin, nachdem ihr das Bestehen einer Bevollmächtigung aus dem vorangegangenen Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Gießen (siehe oben) hätte bekannt sein müssen, zunächst bei dem Bevollmächtigten des Antragstellers Erkundigungen nach dessen Aufenthaltsort einholen müssen, bevor sie das Verfahren mit der Begründung, der Antragsteller sei untergetaucht, einstellt.
VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 10.10.2025, 3 L 4061/25.A (Beschluss im aufenthaltswiki)
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