Aktuelles zu Iran: Außereheliche Beziehungen und kurdische Parteien im Exil

Es ist nun fast neun Monate her, dass Jina Mahsa Amini im Alter von nur 22 Jahren durch die iranische Sittenpolizei ermordet wurde. Das Verbrechen löste die wohl heftigste Protestwelle aus, die der Iran seit langer Zeit erlebt hatte. Das iranische Regime reagierte mit weiteren Verbrechen, weiteren Morden in Gestalt von Hinrichtungen nach Schauprozessen, und unterdrückt die Opposition auf brutale Weise. Man kann den Menschen im Iran nur wünschen, dass ihr Protest erfolgreich ist und sie die mordenden Mullahs so schnell wie möglich loswerden.

In deutschen Medien hört man mittlerweile nicht mehr viel von den Protesten. Es ist von einer Couch in Düsseldorf aus nicht ganz einfach, einzuschätzen, inwiefern das tatsächlich daran liegt, dass die Proteste nachgelassen haben, und inwiefern es eher daran liegt, dass das Interesse in Deutschland nachgelassen hat. Vermutlich irgendwie beides so ein bisschen, und die Wahrheit liegt wahrscheinlich wie so oft irgendwo dazwischen. Plausibel erscheint, was der Soziologe Farhad Khosrokhavar in diesem Artikel bei euronews sagt:

„Die Straßenproteste wurden nach und nach unterdrückt. Aber die feministische Dimension der Bewegung geht weiter. Die Frauen weigern sich, den Schleier auf der Straße zu tragen“, sagt der französisch-iranische Forscher. Diese Veränderung in der Form der Proteste könne vom Regime nur schwer unterdrückt werden, meint Khosrokhavar.

Die Wut der Menschen sei immer noch da, aber sie äußere sich jetzt eben anders. Die Frage, die sich vor diesem Hintergrund stellt, ist, welche Konsequenzen aus dieser Situation für die Asylverfahren iranischer Schutzsuchender zu ziehen sind. Zwar finden zurzeit kaum Abschiebungen in den Iran statt, was aber an eher einer informellen Absprache in der Innenministerkonferenz liegt, als daran, dass die beteiligen Stellen Menschen aus dem Iran jetzt großzügig als schutzberechtigt anerkennen würden. Tatsächlich war die sog. bereinigte Schutzquote nach Ausbruch der Proteste zunächst sogar leicht rückläufig.

Die Verwaltungsgerichte führen in dieser Situation offenbar eine Art Eiertanz auf. Auf der einen Seite ist man schon deutlich eher, als noch vor etwa einem Jahr, geneigt, zugunsten der betroffenen Personen zu entscheiden, auf der anderen Seite muss man dabei aber stets deutlich betonen und ausführen, dass sich die Entscheidungen immer nur auf die ganz konkreten besonderen Umstände des Einzelfalls beziehen. Zwei solcher Entscheidungen stelle ich hier heute vor: Es geht zum einen um eine Frau, die in Deutschland eine nicht eheliche Beziehung führt, aus der ein Kind hervorgegangen ist, und zum anderen um einen Kurden, der in Deutschland für eine kurdische Partei aktiv ist. Beide Urteile sind rechtskräftig.

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Subsidiärer Schutz wegen einer nicht ehelichen Beziehung

Bei den Kläger*innen handelt es sich um eine Frau und um ihren Sohn aus einer Ehe im Iran. Sie hatte sich mit ihrem Ehemann zerstritten und wollte sich scheiden lassen bzw. ist zwischenzeitlich auch geschieden.

Ihr früherer Ehemann hat sie wegen einer nicht ehelichen Beziehung angezeigt, denn, so führt das Verwaltungsgericht Köln in seinem Urteil aus:

Grundsätzlich ist nach iranischem Recht jeder Geschlechtsverkehr zwischen Personen strafbar, die nicht miteinander verheiratet sind und wird mit 100 Peitschenhieben bestraft (Artikel 221 iranisches StGB). Für Personen, die einen Ehebruch begehen, ist die Steinigungsstrafe zu verhängen, wenn sie in dauernder Ehe verheiratet sind.

In Deutschland haben die beiden einen Asylantrag gestellt, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt hat, da es ihr die Geschichte nicht geglaubt hat. Das Gericht entschied jetzt, dass der Frau wegen der im Iran drohenden Strafverfolgung zumindest subsidiärer Schutz zustehe. Denn in Deutschland hat die Frau nunmehr erneut eine Beziehung, und aus dieser Beziehung ging auch ein bereits ein Kind hervor:

Das Gericht hält es angesichts der Tatsache, dass durch das am 00.00.2023 geborene Kind der Klägerin ein unwiderlegbarer Beweis der Tatbestandsverwirklichung gegeben ist, für beachtlich wahrscheinlich, dass ein iranisches Gericht im Falle eines Verfahrens zu einer Verurteilung käme und auch die Gründe hierfür in nach iranischem Recht hinreichender Weise darlegen könnte.

Man könnte sich vielleicht fragen, warum das Gericht hier nur subsidiären Schutz zuerkennt, und nicht die Flüchtlingseigenschaft. Auf den ersten Blick könnte es sich ja auch um geschlechtsspezifische Verfolgung handeln. Das sieht das Gericht jedoch nicht so, denn die Strafandrohung nach dem iranischen Gesetz betrifft grundsätzlich alle Menschen unabhängig von ihm Geschlecht. Männer machen sich also nach den Feststellungen des Gerichts prinzipiell in gleicher Weise strafbar. Mithin knüpft die Strafandrohung gerade nicht an das spezifische Geschlecht der Klägerin an, was aber die Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung sein würde.

Das Gericht macht zudem auch klar, und damit wären wir wieder beim eingangs erwähnten Eiertanz, dass bloß, weil die Klägerin in Deutschland eine nicht eheliche Beziehung führt, noch nicht ohne Weiteres ein Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes besteht. Zum einen ist da eben das Kind, welches eben den Beweis für diese Beziehung darstellt. Zum anderen aber eben auch die Anzeige des früheren Ehemannes im Iran:

Zwar haben die iranischen Strafverfolgungsbehörden nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln häufig kein ausgeprägtes Interesse daran, außereheliche Beziehungen zu verfolgen. Wird allerdings ein Verfahren durch die Anklage eines Dritten eingeleitet, wird regelmäßig ein Verfahren eröffnet.

Und ihr Sohn?

Aber was macht das Gericht jetzt mit ihrem Sohn aus der Ehe im Iran, der mit ihr zusammen in Deutschland den Asylantrag gestellt hat, und ebenfalls Kläger dieses Verfahrens ist? Er führt ja keine nicht eheliche Beziehung, sodass ihm deswegen im Iran auch keine Strafverfolgung droht und sich die Ausführungen des Gerichts insofern also nicht ohne Weiteres auf ihn übertragen lassen.

(Noch) kein internationaler Schutz für Familienangehörige…

Freilich könnte man hier daran denken, ihm subsidiären Schutz im Wege des internationalen Schutzes für Familienangehörige (§ 26 AsylG) zuzuerkennen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Zuerkennung des Schutzstatus für die*den Stammberechtigte*n unanfechtbar geworden sein muss. Dafür lässt die Rechtsprechung zwar bereits ein entsprechendes, rechtskräftiges Verpflichtungsurteil genügen, sodass der entsprechende Bescheid des BAMF nicht zwingend erforderlich sein muss. Jetzt, während ich diese Zeilen verfasse, könnte also tatsächlich ein entsprechender Folgeantrag gestellt werden und dann auch erfolgreich sein. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) gab es aber eben noch weder ein rechtskräftiges Urteil noch einen entsprechenden Bescheid, so dass das Gericht gehindert war, in dem Urteil eine entsprechende Verpflichtung auszusprechen.

Manche Richter*innen umgehen dieses Problem, indem sie die Verfahren der durch § 26 AsylG begünstigen Angehörigen abtrennen, dann die Rechtskraft des Urteils im Verfahren der*des Stammberechtigten abwarten und dann erst über die Klage der Angehörigen entscheiden. Das müssen sie jedoch nicht so machen, und in diesem Falle wurde es eben auch nicht so gemacht.

…aber auch keine Abschiebungsandrohung

Damit war das Gericht dann jetzt allerdings in der Situation, sich mit der jüngsten Rechtsprechung des EuGH zu sog. Rückkehrentscheidungen, wie es im Unionsrecht heißt, auseinandersetzen zu müssen. Denn der EuGH hatte in seinem Vgl. EuGH, Beschluss vom 15.02.2023 – C-484/22 – entschieden, dass Art. 5 Buchst. a und b der sogenannten Rückführungsrichtlinie verlangt,

das Wohl des Kindes und seine familiären Bindungen im Rahmen eines zum Erlass einer gegen einen Minderjährigen ausgesprochenen Rückkehrentscheidung führenden Verfahrens zu schützen, und es nicht genügt, wenn der Minderjährige diese beiden geschützten Interessen im Rahmen eines nachfolgenden Verfahrens betreffend den Vollzug dieser Rückkehrentscheidung geltend machen kann, um gegebenenfalls eine Aussetzung deren Vollzugs zu erwirken.

Da es sich bei den Abschiebungsandrohungen (§ 34 AsylG), die die BAMF – jedenfalls bislang – bei einer Ablehnung eines Asylantrages regelmäßig erlässt (erließ?), um eine solche Rückkehrentscheidung handelt, sorgt diese Entscheidung derzeit für einiges Stirnrunzeln bei den Verwaltungsgerichten. Bislang war es völlig üblich, dass das BAMF unabhängig von etwaigen familiären Bindungen in Deutschland erließ, und es dann Aufgabe der Ausländerbehörde war, vor bzw. im Rahmen der Abschiebung, zu prüfen, ob möglicherweise familiäre Bindungen einer Abschiebung entgegenstehen, bzw. sicherzustellen, dass Familien nicht in rechtswidriger Weise getrennt werden.

Aufgrund der jüngsten EuGH-Rechtsprechung ist hier eine Korrektur erforderlich, wobei da im Einzelnen noch einiges unklar ist. Bezogen auf den konkreten Fall aber jedenfalls sah das Gericht die Abschiebungsandrohung gegen den Sohn als rechtswidrig an, nachdem es der Mutter den subsidiären Schutz zusprach:

Nach diesen Maßgaben stehen der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung die familiären und Kindswohlbelange des Klägers zu 2. i.S.e. inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses entgegen.

Der Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ist für den Kläger zu 2., einen Drittstaatsangehörigen, eröffnet, vgl. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2008/115/EG.

Unter der Rückkehrentscheidung i. S. d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG ist im nationalen Recht die Abschiebungsandrohung i. S. d. § 59 AufenthG zu verstehen. […]

Der Abschiebung des minderjährigen Klägers zu 2. stehen familiäre Belange i.S.d. Art. 5 lit. b RL 2008/115/EG / Art. 6 GG entgegen. Dies folgt aus dem seiner Mutter, der Klägerin zu 1., nach dem oben unter I. Ausgeführten zustehenden subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG.

VG Köln, Urteil vom 18.04.2023, 12 K 3652/20.A

Flüchtlingseigenschaft wegen exilpolitischer Betätigung für eine kurdische Partei

Der Kläger in dem zweiten Verfahren, über das ich hier schreibe, ist Kurde. Er ist aktives Mitglied der „Demokratischen Partei Kurdistan-Iran“ (DPKI). Zur Situation dieser Partei im Iran führt das Verwaltungsgericht Aachen in seinem Urteil aus:

Kurdische Personen, welche sich politisch engagieren oder mit politischen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden, werden zum Ziel der iranischen Behörden. Dies gilt vor allem für kurdische Personen mit Verbindungen zu traditionell separatistischen kurdischen Parteien wie Komala, KDPI und PJAK, welche die Unabhängigkeit und antistaatliche Aktivitäten propagieren. Bereits bei friedlichen Aktivitäten kann ein behördliches Eingreifen drohen. In Einzelfällen reichen sogar einfache Aktivitäten, wie die Teilnahme an Demonstrationen oder an Streiks, aus, um der Zusammenarbeit mit der Opposition beschuldigt zu werden. Die konkrete Behandlung variiert jedoch von Fall zu Fall und hängt unter anderem vom zuständigen Beamten ab. Mit dem Grad des oppositionellen Engagements nimmt die Wahrscheinlichkeit, Ziel politischer Verfolgungsmaßnahmen zu werden, grundsätzlich zu. […]

Auch willkürliche Verhaftungen von kurdischen Personen kommen vor; die Beweggründe der Behörden sind insofern unklar. […]

Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere mit dem Vorwurf einer Unterstützung der kommunistischen Komala-Partei oder der KDP-Iran – und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafmaß. Kurdische Personen machen auch einen überproportionalen Anteil der zum Tode verurteil-ten und hingerichteten Personen aus. […]

Im Fokus stehen nicht nur die Mitglieder der verbotenen kurdischen Parteien. Auch Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um Druck auf die Aktivisten auszuüben. Dabei werden enge Familienmitglieder häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie.

Um auf das Thema Eiertanz zurückzukommen: Auch in diesem Falle muss betont werden, dass nicht allen Menschen, die sich oppositionell betätigen, automatisch politische Verfolgung drohe. Insbesondere wiederholt man auch die kühne Behauptung, dass manche Menschen sich in Deutschland nur exilpolitisch bestätigen würden, um sich einen Asylgrund zu verschaffen, und dass das Regime das auch erkennen würde, weswegen diesen Personen im Iran keine Verfolgung drohe:

Ob eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im Falle exilpolitischer Aktivitäten für (kurdische) Oppositionsgruppen vorliegt, ist nach den konkret-individuellen Gesamtumständen des Einzelfalles zu beurteilen. Ab welcher Intensität der politischen Aktivitäten es zu Verfolgungshandlungen kommt, lässt sich dabei nicht allgemeingültig beantworten. Die passive Mitgliedschaft oder die vereinzelte Teilnahme an Demonstrationen allein genügen in der Regel jedoch nicht. Insoweit erscheint es lebensfremd, dass jede Person, die an Veranstaltungen der (kurdischen) Exilopposition teilnimmt, als möglicher Regimekritiker erkannt und verfolgt wird. Auch sind bloße untergeordnete exilpolitische Betätigungen, auch wenn sie im Internet dokumentiert sind, für sich genommen nicht ausreichend, um erhebliche Repressalien bei der Rückkehr befürchten zu lassen. Nach der Erkenntnislage ist iranischen Stellen bekannt, dass eine große Zahl iranischer Asylsuchender aus wirtschaftlichen oder anderen unpolitischen Gründen versucht, im westlichen Ausland dauernden Aufenthalt zu finden, und hierzu Asylverfahren mit entsprechendem Vortrag betreibt. Bekannt ist weiter, dass deshalb auch entsprechende Aktivitäten stattfinden, etwa eine oppositionelle Betätigung in Exilgruppen, die häufig dazu dienen, Nachfluchtgründe zu belegen. Auch insoweit ist davon auszugehen, dass die iranischen Behörden diese Nachfluchtaktivitäten realistisch einschätzen. Vielmehr können exilpolitische Betätigungen eine asylerhebliche Verfolgungsgefahr nur begründen, wenn nach den konkret-individuellen Umständen des Einzelfalls damit zu rechnen ist, dass der Betroffene für iranische Stellen erkennbar und identifizierbar in die Öffentlichkeit getreten ist und als ein Regimegegner erscheint, von dem aus Sicht der iranischen Behörden eine ernsthafte Gefahr für den islamischen Staat ausgeht. Entscheidend ist, ob die Aktivitäten den jeweiligen Asylsuchenden aus der Masse der mit dem Regime in Teheran Unzufriedenen herausheben.

Der Kläger in diesen Verfahren jedoch habe sich in diesem Sinne aus „der Masse der mit dem Regime in Teheran Unzufriedenen“ herausgehoben. Er habe die Partei als deren Repräsentant in der Öffentlichkeit vertreten und setze sich insbesondere „aus tiefer Überzeugung“ „für kurdische Belange“ ein. Daher hat das Gericht die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, ihn als Flüchtling anzuerkennen.

VG Aachen, Urteil vom 18.04.2023, 10 K 2107/20.A


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