Zulässigkeit eines Eilantrags nach stattgebender Entscheidung in der Hauptsache

Ein Mann hatte bereits im Oktober 2021 einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ordnete im Dublin-Verfahren seine Abschiebung nach Italien an. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hatte zwar bereits im Juli 2021 massive Bedenken gegen das italienische Asylsystem angemeldet, allerdings waren sich die Verwaltungsgerichte der ersten Instanz zunächst nicht einig, wie sie mit den Vorgaben aus Münster umzugehen haben. Im vorliegenden Fall jedenfalls hatte das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen zunächst einen Eilantrag abgelehnt und damit grünes Licht für die Abschiebung geben.

Später dann entschieden die zuständigen Behörden, dass er „flüchtig“ sei. Die Überstellungsfrist wurde daher auf achtzehn Monate verlängert (vgl. Art. 29 Abs. 2 Satz 3 Dublin III-VO). Kurz bevor diese, verlängerte Überstellungsfrist dann ablief, entschied das VG dann durch im schriftlichen Verfahren, dass nunmehr systemische Mängel im italienischen Asylsystem vorlägen und hob den Bescheid daher auf. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig, und während der Rechtsmittelfrist lief die verlängerte Überstellungsfrist ab. Anlass für mich, einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu stellen, mithin den Antrag, dass das Gericht nunmehr aufgrund geänderter Umstände die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen möge.

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Das BAMF hielt den Antrag für unzulässig: Aufgrund des Urteils sei eine Abschiebung nicht zu erwarten. Das Rechtsschutzbedürfnis des Antrags entfalle daher. Das Gericht reagierte auf die Stellungnahme des BAMF, indem es das BAMF aufforderte, zuzusichern, dass der Antragsteller nicht abgeschoben werde. Auf diese Aufforderung hingegen reagierte das BAMF sichtlich empört:

Die Beklagte bleibt bei Ihrer Ansicht. Da die Beklagte in jedem Verfahren rechtsstaatlich handelt, ist nicht davon auszugehen, dass sie eine Abschiebung durchführt, da der streitgegenständliche Bescheid aufgehoben wurde. Gleiches gilt für die Ausländerbehörde. Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass das Gericht im Außenverhältnis den Eindruck erweckt, die Beklagte bzw. die Ausländerbehörde würden entgegen eines gerichtlichen Urteils handeln. Derart rechtsstaatswidrig würde weder die Beklagte, noch die Ausländerbehörde handeln. Dieses Grundvertrauen in ein rechtsstaatlich funktionierendes und einem ökonomisch ausgerichteten System sollte das Gericht zugrunde legen. Dass das Urteil noch keine Rechtskraft erlangt hat, ändert an der Auffassung der Beklagten nichts.

Das Gericht konnte das BAMF damit nicht überzeugen. Es gab dem Antrag statt. Dabei betont es die Bedeutung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG). Demzufolge entfällt das Rechtsschutzinteresse im Zusammenhang mit Rechtsbehelfen gegen Abschiebungsanordnungen nur dann, wenn seitens der zuständigen Behörde zugesichert wird, dass die Abschiebung nicht vollzogen wird. An einer solchen Zusicherung fehlt es hier allerdings, denn die Stellungnahme des BAMF enthält lediglich „allgemeine rechtsstaatliche Überlegungen“.

Es wird freilich niemanden überraschen, dass ich die Ausführungen des Gerichts im Sinne effektiven Rechtsschutzes für überzeugend halte. Es erscheint vielleicht ein wenig paradox, und insofern mag man die Empörung des BAMF möglicherweise auch nachvollziehbar finden, aber bloß, weil bereits ein stattgebendes Urteil vorliegt, hat eine Klage eben noch nicht automatisch und in jedem Falle aufschiebende Wirkung. Und damit haben die Betroffenen eben auch weiterhin ein Interesse daran, dass das Gericht ausdrücklich anordnet, dass sie nicht abgeschoben werden dürfen.

Anders würde es allerdings tatsächlich aussehen, wenn das Urteil bereits rechtskräftig wäre: In diesem Falle wäre die Abschiebungsanordnung ja tatsächlich aufgehoben, und eine Abschiebung insofern tatsächlich nicht mehr zu befürchten. Zudem wäre dann ja auch gar keine Klage mehr anhängig, deren aufschiebende Wirkung angeordnet werden könnte.

VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31.08.2023, 1a L 1379/23.A


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