Flüchtling ja und Asyl nein, kann das wirklich richtig sein?

Für Verwirrung sorgen immer wieder Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), mit denen jemand zwar als Flüchtling anerkannt wird, die Anerkennung als Asylberechtigte*r jedoch zugleich abgelehnt wird.

Ausschnitt aus einem Bescheid, mit dem die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, der Antrag auf Asylanerkennung aber abgelehnt wird

Solche Bescheide wirken widersprüchlich und sorgen deswegen regelmäßig für Verwirrung. Im schlimmsten Falle lösen sie Panik aus: Droht mir eine Abschiebung? Mein Asylantrag wurde doch abgelehnt! Hier versuche ich eine kurze Erklärung, warum diese Bescheide zwar vielleicht aus einer politisch-historischen Sicht bedenklich sein könnten, für die konkreten Betroffenen jedoch völlig in Ordnung und rechtmäßig und vor allem absolut kein Grund zur Sorge sind.

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Das Grundrecht auf Asyl

Als das Grundgesetz 1949 in Kraft trat, hieß es in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG schlicht: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Das hatte freilich etwas mit den unmittelbar vorangegangen Erfahrungen des Faschismus zu tun. Das ein Recht auf Asyl Bestandteil einer Verfassung ist und sogar als individuelles Grundrecht ausformuliert wird, ist dabei eher eine Besonderheit.

Leider dauerte es nicht sehr lange, bis die Errungenschaft politisch enorm unter Druck geriet. Spätestens in den frühen 1990er Jahren hatte man eine rassistische Debatte, die den heutigen Debatten gar nicht so unähnlich ist. Damals wie heute gab sich die Politik der Fehlvorstellung hin, dass man den extrem rechten Mob bekämpfen könnte, indem man seinen Forderungen nachgibt. Das Ergebnis war eine Grundgesetzänderung im Jahre 1993, die, je nachdem, wen man gerade fragt, als Asylkompromiss oder als faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl bezeichnet wird.

Der damalige Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG wurde gestrichen. Mit Art. 16a GG wurde ein ganz neuer Artikel in das Grundgesetz aufgenommen. Dessen erster Absatz lautet bis heute so, wie vormals Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Insofern könnte man also meinen, dass sich ja eigentlich nichts verändert habe. Das Problem ist jetzt jedoch, dass in den nachfolgenden Absätzen so viele Einschränkungen stehen, dass davon praktisch kaum noch etwas übrig bleibt.

Am wirkmächtigsten ist dabei die Regelung über die „sicheren Drittstaaten“ in Art. 16a Abs. 2 GG. Demzufolge kann sich nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen, wer über einen sogenannten sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist ist. Der „Witz“ dabei ist, dass Deutschland nur von sogenannten sicheren Drittstaaten umgeben ist. Im Ergebnis – so sehen es jedenfalls das BAMF und die meisten Gerichte – sind damit praktisch alle Menschen, die über den Landweg nach Deutschland eingereist sind, vom Grundrecht auf Asyl ausgeschlossen. Art. 16a Abs. 2 GG sieht dabei keine Ausnahmen vor. Selbst, wer als Jüd*in aus einem Land, das der NS-Diktatur gliche, nach Deutschland käme, hätte keine Chance auf Asyl, wenn sie*er mit dem Auto durch Österreich gefahren wäre.

Um noch eine Chance auf eine Asylanerkennung zu haben, muss man also praktisch schon in Deutschland geboren oder auf dem Luftweg aus einem Land, dass nicht als sicheres Herkunftsland gilt, eingereist sein. Dabei gelten insbesondere sämtliche EU-Länder automatisch als sichere Herkunftsländer. Wenn unklar ist, wie jemand genau hergekommen ist, weil jemand beispielsweise behauptet, mit dem Flugzeug gekommen zu sein, aber nicht genau sagen kann, mit welchem Flug, wird in der Regel ebenfalls davon ausgegangen, dass die Person auf dem Landweg eingereist und damit vom Grundrecht auf Asyl von vorneherein ausgeschlossen ist.

Das BAMF gibt in seiner Statistik für 2023 an, dass in 0,7 % seiner Entscheidungen die Asylberechtigung zuerkannt wird. Freilich könnte man aus der Statistik noch die sog. „formellen Entscheidungen“ herausrechnen (sog. bereinigte Schutzquote), aber das würde an dem grundsätzlichen Befund nichts ändern: Mit dem sog. „Asylkompromiss“ haben CxU, SPD und FDP das Grundrecht auf Asyl praktisch irrelevant werden lassen. Damit haben sie zugleich den Nährboden bereitet, auf dem seither die Narrative der extremen Rechten wie beispielsweise der AfD gedeihen: Wenn nicht einmal 1 % der Asylanträge zu einer Anerkennung als Asylberechtigte*r führen, dann haben wir hier ja offenbar ein riesengroßes Missbrauchsproblem. Oder etwa doch nicht?

Die Genfer Flüchtlingskonvention

Nein, natürlich nicht. Denn, und das ist die gute Nachricht: Aus heutiger Sicht, im Jahre 2024, ist das alles ziemlich egal. Denn die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) hat das Grundrecht auf Asyl heute praktisch weitgehend ersetzt. Durch EU-Richtlinien, insbesondere die EU-Qualifikationsrichlinie 2011/95/EU (QRL, auch als Anerkennungsrichtlinie bezeichnet) hat der Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention seine spezielle, derzeit geltende europarechtliche Ausprägung erhalten. Diese ist heute praktisch der flüchtlingsrechtlich relevante Maßstab. Wenn man sich die grafische Gestaltung der oben verlinkten Statistik des BAMF ansieht, erkennt man ja auch, dass das BAMF selbst die Asylberechtigten nur noch als Teilmenge der GFK-Flüchtlinge begreift. Damit ist die Anerkennungsquote aber bereits sehr viel höher, nämlich 16,3 %, auch wenn man die formellen Entscheidungen mitzählt. Berücksichtigt man noch die Entscheidungen, in denen ein anderer Schutzstatus (subsidiärer Schutz und Abschiebungsverbote) zuerkannt wird, so kommt man, selbst, wenn man die formellen Entscheidungen mitzählt, auf eine Schutzquote von über 50 %.

Betrachten wir also die heutige Situation, so kann man schlussfolgern, dass die weitgehende Abschaffung des Grundrechts auf Asyl rechtlich gesehen kaum einen nachhaltigen Effekt gehabt hat. Ihre Auswirkungen beschränken sich im Wesentlichen darauf, dass sie der AfD und anderen Rassist*innen einen Nährboden für ihre rassistischen Narrative bieten. Insofern ist es auch eher eine eine armselige populistische Show, wenn heute wieder rechte Politiker*innen weitere Grundgesetzänderungen fordern und das ohnehin kaum noch vorhandene Grundrecht auf Asyl weiter einschränken wollen. Da die Musik im Flüchtlingsrecht ohnehin eher im Völker- bzw. Europarecht spielt, wird das praktisch kaum Auswirkungen haben.

Die Genfer Flüchtlingskonvention enthält eine Definition eines Flüchtlings. Diese Definition wurde vom Bundesgesetzgeber, einschlägigen europarechtlichen Vorgaben folgend, in § 3 Abs. 1 AsylG übernommen. Der springende Punkt ist aber, dass der QRL eine mit Art. 16a Abs. 2 GG vergleichbare Regelung fehlt. Wer über einen sog. sicheren Drittstaat, also insbesondere auf dem Landweg eingereist ist, ist zwar vom Grundrecht aus Asyl ausgeschlossen, aber nicht von der Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Das ist der wesentliche Grund für die stark unterschiedlichen Anerkennungsquoten.

Hinzu kommt, dass die Definition eines Flüchtlings im Sinne der GFK ist nicht völlig identisch mit der Definition einer*eines politisch Verfolgten im Sinne des Art. 16a GG. Der Begriff des Flüchtlings wird weiter verstanden, als derjenige der*des politisch Verfolgten. So wird im Zusammenhang mit Art. 16a GG in der Regel eine staatliche Verfolgung verlangt, während im Zusammenhang mit der GFK auch eine nichtstaatliche Verfolgung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen kann, vgl. § 3c Nr. (2 und) 3 AsylG. Mein Eindruck ist allerdings, dass das BAMF insoweit bei seiner Entscheidungspraxis, wer jetzt zusätzlich zur Flüchtlingseigenschaft noch die Asylberechtigung bekommt, und wer nicht, nicht wirklich konsistent ist. Aber, und das ist die gute Nachricht: Das ist (mittlerweile) völlig egal.

Eine Unterscheidung, aber kein Unterschied?

Denn im Laufe der Zeit wurden die Asylberechtigten und die Leute, nur „nur“ GFK-Flüchtling sind, ohne zugleich als asylberechtigt anerkannt worden zu sein, gänzlich gleichgestellt. Die Asylberechtigten bekommen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 AufenthG. Die GFK-Flüchtlinge ohne Asylberechtigung bekommen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AufenthG. Beide Aufenthaltserlaubnisse werden für drei Jahre erteilt, § 26 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Für beide Gruppen gibt es einen identisch ausgestalteten privilegierten Übergang in § 26 Abs. 3 AufenthG. Auch die Regeln für Familiennachzug, Arbeitsmarktzugang, Sozialleistungen usw. sind identisch ausgestaltet. Und vor allem: In beiden Fällen ist eine Abschiebung ins Herkunftsland ausgeschlossen. Es gibt mithin praktisch kaum noch einen Unterschied zwischen beiden Gruppen.

Vollständigkeitshalber sei angemerkt, dass das nicht immer so war. Früher gab es durchaus Differenzierungen (Stichwort „kleines Asyl“). Aus heutiger Sicht ist das aber Rechtsgeschichte und daher nicht länger relevant.

Aus diesem Grunde ist es auch müßig, sich mit den Feinheiten der Definition der politischen Verfolgung gemäß Art. 16a GG in Abgrenzung zur Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu befassen. Tatsächlich kann man die Entscheidungspraxis des BAMF und der allermeisten Verwaltungsgerichte durchaus kritisieren. Denn das AsylG sieht in § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG einen sogenannten einfachgesetzlichen Anspruch auf die Anerkennung als asylberechtigt vor, wenn die Bundesrepublik Deutschland „auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft“ (das bedeutet derzeit noch praktisch: nach der Dublin III-Verordnung) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Wenn eine solche Zuständigkeit aber nicht vorliegt, wird es auch keine Prüfung der Flüchtlingseigenschaft geben. Mithin lässt sich durchaus argumentieren, dass das BAMF immer, wenn es die Flüchtlingseigenschaft prüft, auch diesen einfachgesetzlichen Anspruch auf die Anerkennung der Asylberechtigung zu prüfen hat. Ich weiß, dass ein früherer Kollege aus Ostwestfalen diesen Anspruch auch wiederholt gerichtlich und durchaus auch mit einigem Erfolg geltend gemacht hat. Da aber eben, wie ausgeführt, die Asylberechtigung praktisch kaum noch einen Vorteil bringt, sind diese Erfolge eher von politisch-symbolischer Natur, und es stellt sich mithin die Frage, ob sie die Mühe wert sind.

So hat dann auch das BVerwG in seinem Beschluss vom 16.09.2015, 1 B 36.15, gewissermaßen in einer Art obiter dictum Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis für derartige Klagen aufgeworfen:

Bei dieser Sachlage obliegt es dem Kläger darzulegen, welche weitergehenden Vorteile ihm die begehrte Asylanerkennung brächte. Andernfalls wäre es eine überflüssige Inanspruchnahme der Gerichte, wenn diese trotz des vom Bundesamt gewährten Flüchtlingsschutzes über die Asylanerkennung sachlich entscheiden müssten.

BVerwG in seinem Beschluss vom 16.09.2015, 1 B 36.15, Rn. 5

Nach dieser Ansage des Bundesverwaltungsgericht wird man wohl eher bezeifeln müssen, dass entsprechende Klagen in Zukunft noch größere Erfolgsaussichten besitzen.

Eine ganz große Koalition gegen den Flüchtlingsschutz

Wie ausgeführt, hat sich die weitgehende Abschaffung des Grundrechts auf Asyl aus heutiger Sicht als wenig effektiv im Sinne ihrer Urheber*innen erwiesen. Will man dem Flüchtlingsschutz den Garaus machen, muss man schon ans Völker- und Europarecht ran. Die Genfer Flüchtlingskonvention lässt sich nicht so einfach ändern. Wohl aber kann man die Richtlinien und Verordnungen, die den Flüchtlingsschutz in der EU und einigen anderen europäischen Ländern ausformen, ändern. Das ist auch nicht so ganz einfach, weil es entsprechende Einigungen auf europäischer Ebene erfordert, über die seit Jahren gestritten wird.

Derzeit sieht es allerdings so aus, dass eine ganz große Koalition gegen den Flüchtlingsschutz aus SPD, CxU, FDP und Grünen noch vor der anstehenden Europawahl in diesem Jahr eine drastische Einschränkung des europarechtlichen Flüchtlingsschutzes beschließen wird. Bestandteil dieses Pakets wird auch eine Art europäische Version einer Drittstaatenregelung sein, indem man versucht, bestimmte Gruppen von Geflüchteten erst gar nicht mehr wirklich einreisen zu lassen und Asylverfahren zu externalisieren.


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