Obligatorische Anhörung im Drittstaatenverfahren

In diesem rechtskräftigen Gerichtsbescheid betont das VG Gelsenkirchen die Bedeutung der persönlichen Anhörung auch im Drittstaatenverfahren. Klägerinnen in dem Verfahren waren eine Mutter und ihre Tochter. Da die Mutter bereits einen Schutzstatus in Rumänien zuerkannt bekam, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Asylantrag der beiden als unzulässig abgelehnt und ihnen die Abschiebung nach Rumänien angedroht. Da sich dies zu Zeiten des „Lockdown light“ ereignete, hatte das BAMF die Mutter nicht persönlich angehört, sondern ihr lediglich Fragebögen in arabischer Sprache ausgehändigt. Dies hält das Gericht jedoch für nicht ausreichend.

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Das Gericht verweist auf das Urteil des EuGH vom 16.07.2020, C-517/17, wonach der persönlichen Anhörung im Asylverfahren die potenzielle Ergebnisrelevanz nicht abgesprochen werden könne. Zwar gelte nach nationalem deutschem Recht, dass bei sog. gebundenen Entscheidungen (wenn also die Behörde kein eigenes Ermessen hat), ein Anhörungsmangel sich grundsätzlich nicht im Ergebnis auswirken könne. Dies folgt aus § 46 VwVfG, wonach bloße Verfahrens- und Formfehler keinen Anspruch auf Aufhebung eines Verwaltungsakts vermitteln. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur eingeschränkt im Asylrecht. Art. 15 der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU) vermittelt besondere Mindestanforderungen an die Ausgestaltung der persönlichen Anhörung. Diese muss beispielsweise vertraulich ausgestaltet sein (Art. 15 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie) und die anhörenden Personen müssen entsprechend befähigt sein (Art. 15 Abs. 3 Satz 1 a) Asylverfahrensrichtlinie). Insbesondere, was die Vertraulichkeit angeht, ist es offensichtlich, dass eine öffentliche Verhandlung in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren hierfür keinen gleichwertigen Ersatz darstellen kann. Das Gericht kommt daher zu dem Ergebnis, dass es sich bei der unterbliebenen Anhörung um einen beachtlichen Verfahrensmangel handelt, der zur formellen Rechtswidrigkeit des Bescheides führt.

Daran ändert insbesondere auch der „Lockdown light“ aufgrund der Covid-19-Pandemie nichts: Zwar scheint das Gericht unter Umständen ein Absehen von der Anhörung im Ermessenswege für möglich zu halten, wenn eine Person tatsächlich infiziert ist oder hinsichtlich besonders vulnerabler Personen (vulnerabel hier in Bezug auf das Pandemiegeschehen). Für einen generellen Verzicht auf persönliche Anhörungen sieht das Gericht hingegen keine rechtliche Grundlage.

Demgegenüber hätte das Gericht es aber wohl sogar für möglich gehalten, dass das BAMF den Verfahrensmangel heilt, indem es die unterbliebene Anhörung nachholt (vgl. § 45 VwVfG). Dies hat das BAMF jedoch nicht getan, obwohl das Gericht zuvor darauf hingewiesen hatte, dass es den Bescheid für formell rechtswidrig hält.

VG Gelsenkirchen, Gerichtsbescheid vom 9.2.2024, 18a K 261/21.A


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