Wie ist das jetzt eigentlich mit den Abschiebungen in den Irak?

Da ich jetzt wiederholt darauf angesprochen wurde, wie es denn jetzt aussehe, mit den Abschiebungen in den Irak, fasse ich an dieser Stelle einmal zusammen, was dazu bekannt ist – und was nicht. Tatsache ist: Nix Genaues weiß man nicht. Das ist aber kein Grund zur Entwarnung, ganz im Gegenteil, sondern es ist Bestandteil eines perfiden Spiels, das darauf ausgerichtet ist, die irakische Community in Deutschland zu verunsichern und in Panik zu versetzen. Denn Bundesländer hätten es ja in der Hand, für Transparenz zu sorgen und klar zu kommunizieren, wen sie abschieben möchten, und wen nicht. Das tun sie aber eben gerade nicht, sondern überlassen es einzelnen, einzelne Informationshäppchen zu leaken, aus denen man sich dann ein Bild der Lage zusammenpuzzeln muss. Transparenz geht anders, man darf aber eben auch davon ausgehen, dass Transparenz auch gar nicht gewünscht ist.

Weiterlesen: Wie ist das jetzt eigentlich mit den Abschiebungen in den Irak?

Was bisher geschah

In den letzten Jahren wurde recht wenig in den Irak abgeschoben. Hauptsächlich traf es sogenannte „Straftäter“ oder „Gefährder“. Wer sich unauffällig verhielt, hatte recht gute Chancen, hier geduldet zu werden.

Das bedeutet allerdings nicht, dass diese Menschen hier einen Schutzstatus (Asyl, Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz, Abschiebungsverbot) bekommen haben. Die Schutzquote für Menschen aus dem Irak lag eher niedrig. Da die Menschen dann aber regelmäßig geduldet wurden, bestand eine relativ gute Chance, sie mit der Zeit über Ausbildungsduldung, Beschäftigungsduldung, §§ 25a, 25b AufenthG etc. in ein Bleiberecht zu retten. Deswegen beraten wir in diesen Fällen auch regelmäßig dahin, dass Menschen die lange Dauer eines Asylverfahrens auch als Chance begreifen können, um die Zeit der Aufenthaltsgestattung, die auf ihre Weise ja ein sicherer Status jedenfalls in dem Sinne ist, dass die Menschen in dieser Zeit nicht abgeschoben werden dürfen, und insofern versuchen sollten, die Zeit des Asylverfahrens zu nutzen, um Deutsch zu lernen und beispielsweise eine Ausbildung zu beginnen, statt in der dann leider doch häufig eher etwas naiven Hoffnung, dass das Asylverfahren mit einer positiven Entscheidung enden werde, auf eine möglichst rasche Bescheidung zu drängen.

Insbesondere: Yeziden

Kommen wir zu einem meiner Lieblingsthemen, und da kriege ich ja jedes Mal sofort Puls: Yeziden aus dem Irak. Yeziden aus dem Irak lassen sich ganz hervorragend für Schaufensterreden etwa im Bundestag instrumentalisieren.

Der Deutsche Bundestag hat am 19.01.2023 eine Resolution verabschiedet, mit der die grausamen Verbrechen, die der selbsternannte „Islamische Staat“ an den Yeziden begangen hat, als Völkermord anerkannt wurde. Das ist zunächst mal nur ein symbolischer Schritt, der wenig praktische Konsequenzen hat, gegen den allerdings an und für sich auch nicht viel einzuwenden wäre. Gleichwohl lassen Formulierungen wie „Rückkehr ermöglichen“ stets aufhorchen, denn von „Rückkehr ermöglichen“ zu „abschieben“ ist es oftmals nur noch ein kleiner Schritt.

Was ich eigentlich daran ärgert, ist jedoch was anderes, nämlich die Heuchelei, die in dieser Resolution enthalten ist: „Redner aller Fraktionen sprachen sich dafür aus, Jesiden auch weiterhin in Deutschland Asylschutz zu gewähren“, heißt es etwa bei der tagesschau. Als ich das las, musste ich kurz nach Luft schnappen, insbesondere wegen des „weiterhin“. Fakt ist: Yeziden aus dem Irak bekommen schon seit Jahren grundsätzlich keinen Schutzstatus mehr zugesprochen. Für NRW hat das hiesige OVG dies etwa mit Urteil vom 10.05.2021, 9 A 1489/20.A, entschieden. Eine vergleichbare Entscheidung des OVG Niedersachsen gab es sogar bereits 2019 (Urteil vom 30.07.2019, 9 LB 133/19). Mir ist aus keinem Bundesland aktuelle abweichende obergerichtliche Rechtsprechung bekannt.

Dabei stellen sich die Gerichte im Wesentlichen auf den Standpunkt, dass der „IS“ eben vertrieben worden sei (da ist ja auch durchaus was dran), und dass deswegen eben keine Gefahr mehr von ihm ausgehe, bzw., dass diese Gefahr jedenfalls nicht mehr so groß sei, dass sie eine weitere Schutzgewährung erfordern würde (darüber wiederum ließe sich trefflich streiten). Seither gibt es allenfalls noch in Einzelfällen sog. Abschiebungsverbote, die dann eher humanitär begründet werden, beispielsweise für alte oder kranke Menschen, denen man nicht mehr zutraut, dass sie sich im Irak noch zurechtfinden würden.

Man fragt sich mithin, ob sich die „Redner aller Fraktionen“ so schlecht informiert haben, oder ob sie bewusst gelogen haben. Fakt ist jedenfalls, dass auch Yeziden aus dem Irak prinzipiell eher schlechte Chancen im deutschen Asylverfahren haben. Wenn nun vermehrt in den Irak abgeschoben wird, und davon muss man eben ausgehen, gibt es mithin keinen Grund zur Annahme, dass Yeziden mehr oder weniger abschiebungsgefährdet sind, als andere Menschen aus dem Irak.

Erlasse und Beschlüsse

Der Gesetzgeber hat der Politik als Instrument, um Abschiebungen in ein bestimmtes Land wegen der dort geltenden allgemeinen Sicherheitslage auszusetzen, den sog. Abschiebungsstopp (§ 60a Abs. 1 AufenthG) vorgesehen. Dieses Instrument passt leider nicht in konservative migrationspolitische Narrative und wird daher nicht sehr oft eingesetzt. Dies könnte man aktuell beispielsweise auch am Beispiel des Iran illustrieren, aber das wäre wieder ein anderer Rant. Stattdessen entscheidet sich die Innenministerkonferenz (IMK) eher für den sogenannten „faktischen Abschiebungsstopp“, mithin für eine Art informeller Absprache, in ein bestimmtes Land nicht mehr abzuschieben (ggf. mit Ausnahmen, Stichwort „Straftäter und Gefährder“), und so weiter.

Ein solcher „faktischer Abschiebungsstopp“ bestand eben auch jahrelang für den Irak. Das ist wohl schon seit einiger Zeit nicht mehr der Fall, dies hatte jedoch bislang wenig spürbare Auswirkungen. Abgeschoben wurde trotzdem wenig. Es spricht jedoch einiges dafür, dass das doch eher an der mangelnden Mitwirkung der irakischen Stellen gelegen haben dürfte, als an entsprechenden, verbindlichen Vorgaben für die deutschen Behörden.

Damit korrespondiert ein Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf aus dem Juli dieses Jahres, der unlängst in Auszügen bekannt geworden ist. Dort heißt es, dass es bereits seit 2020 einen Erlass gebe, nachdem „Rückführungen“ (wie Abschiebungen im Behördenjargon gerne genannt werden) in den Irak nicht mehr ausgeschlossen seien und stattfänden. Andere, frühere Erlasse seien überholt und fänden keine Anwendung mehr. Insofern passt es ins Bild, wenn es aus Behördenkreisen heißt, dass keine neue Weisungslage in Bezug auf Abschiebungen in den Irak bekannt sei. Die Weisungs-/Erlasslage dürfte dann eben tatsächlich diejenige aus 2020 sein, sodass die Aussage, dass sich da in jüngster Zeit nichts geändert hat, durchaus zutrifft. Die wesentliche Änderung dürfte eher im Irak selbst zu suchen sein.

Über die großartige Plattform „fragdenstaat.de“ habe ich eine Anfrage zur Erlasslage an das zuständige Ministerium in NRW gestellt. Beantwortet wurde sie bislang nicht (allerdings sei fairerweise zugestanden, dass die Frist für die Antwort auch noch nicht abgelaufen ist; insofern werde ich den Artikel ggf. aktualisieren, wenn sich da noch was tun sollte). Zum jetzigen Zeitpunkt scheint das zuständige Ministerium jedenfalls auch unter seiner grünen Führungen nicht allzu viel Wert auf Transparenz zu legen.

Der Bundesabschiebungsbeauftragte

Apropos Minster*innen aus NRW: SPD, Grüne und FDP haben es sich zum Ziel gesetzt, mehr abzuschieben. Zu diesem Behufe haben sie den Vorgänger jener grünen Ministerin, den FDP-Mann Joachim Stamp, zum Bundesabschiebungsbeauftragen ernannt. Das ist freilich nicht seine offizielle Bezeichnung. Dafür haben sie sich irgendein anderes Framing einfallen lassen, aber das muss mich ja nicht interessieren.

Jedenfalls berichtete tagesschau.de bereits am 17.05.2023, dass zwischen Irak und Deutschland offenbar ein Abschiebungsübereinkommen geschlossen worden ist. Den vorsichtigen Formulierungen im Artikel merkt man die – gewollte – Intransparenz des gesamten Vorgangs deutlich an.

Fest steht jedenfalls, dass sich die Berichte über Menschen aus dem Irak, die abgeschoben werden oder in Abschiebungshaft landen, auffällig häufen. Man muss daher davon ausgehen, dass die irakischen Stellen jetzt auch die Abschiebungen von Menschen ermöglichen, die sie bislang nicht zurückgenommen haben.

Gewollte Verunsicherung

Aber was bedeutet das jetzt? Werden jetzt alle Menschen aus dem Irak, die hier möglicherweise seit Jahren geduldet leben, abgeschoben? Nein, das wäre schon logistisch gar nicht machbar. Aber darum geht es auch gar nicht. Es geht um Verunsicherung, es geht darum, Menschen Angst zu machen. SPD, Grüne und FDP wollen, dass Menschen nachts nicht schlafen können, weil sie Angst haben, nachts abgeholt und gewaltsam verschleppt zu werden. Deswegen auch die Intransparenz: Es liefe diesem Ziel zuwider, Menschen in Sicherheit zu wiegen.

Realistischer sind daher Szenarien, wie wir sie noch vor etwa drei Jahren in Bezug auf Afghanistan erlebt haben: Öffentlichkeitswirksam inszenierte Geldverschwendungen, Sammelabschiebungen für zehntausende Euro, für die ganze Flugzeuge gechartert werden, um dann eine vergleichsweise kleine Gruppe junger Männer abschieben zu können. Denn die dürfte es wiederum vorrangig erwischen (nur, um Missverständnisse auszuschließen: Ich schließe keines aus, dass auch Frauen, Kinder und Familien abgeschoben werden, aber diese stehen halt erfahrungsgemäß nicht an erster Stelle auf den Abschusslisten der Ausländerbehörden).

Abschreckung bleibt eben auch mit SPD, Grünen und FDP oberste Maxime in der Migrationspolitik. Menschen sollen gar nicht erst nach Deutschland kommen, und, wenn sie es trotzdem tun, soll es ihnen hier möglichst schlecht gehen, auf dass sie alsbald möglichst freiwillig wieder ausreisen. Der Paradigmenwechsel, den einige Leute sich von dieser Regierung versprochen haben, lässt auf sich warten.

Schaut man auf die letzten Jahrzehnte zurück, könnte man erkennen, dass diese Politik nicht einmal gemessen an ihren eigenen Maßstäben erfolgreich war, und es vielleicht mal an der Zeit sein könnte, etwas Neues zu versuchen, indem man Menschen ermöglicht, das selbstbestimmte Leben zu führen, um dessen Willen sie hergekommen sind. Stattdessen jedoch haben SPD, Grüne und FDP beschlossen, die Mittel für Migrationsberatung, Asylverfahrensberatung und Psychosoziale Zentren drastisch zusammenzustreichen.


Beitrag veröffentlicht

in

,

von

Schlagwörter:

Kommentare

Eine Antwort zu „Wie ist das jetzt eigentlich mit den Abschiebungen in den Irak?“

  1. […] hatte bereits einen längeren Rant zum Thema Abschiebungen in den Irak verfasst, auf den ich an dieser Stelle verweise. Ein kurzes […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Consent Management Platform von Real Cookie Banner